Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse
nach der Schuld
, dachte er vergnügt, während er auf die Brücke zuschlich.
Drei Freunde: Der eine bringt das Unheil ins Dorf, der zweite versteckt das Balg, der dritte nagelt ein geweihtes Kreuz darauf. Blöd irgendwie. Ich hätte es zu Steinmehl verarbeitet und in den Wind gepustet. Aber na ja: jeder, wie er will
.
An der Klapperbrücke hielt er an und sah sich gründlich um. Nicht aus Angst vor Dorfbewohnern, die ihm auflauern könnten. Alebin wollte eine Begegnung mit der Torfmuhme vermeiden, mehr noch mit ihrer Bestie. Deren Rolle in dem ganzen verfluchten Spiel war ihm noch nicht klar., doch falls er den Wechselbalg fand, brauchte sie ihn auch nicht zu interessieren.
Er muss da sein!
, dachte Alebin, während er sich bäuchlings auf die eisigen Brückensteine legte.
Er muss, sonst bin ich geliefert! Gefangen in Whispering Willows bis zur nächsten Götterdämmerung – die nicht stattfindet, weil ich den Fenriswolf in den Tod getrieben habe. Mist! Warum habe ich das eigentlich getan?
Widerwillig schob er seine Hand unter den Rand der Klapperbrücke und begann zu tasten. Raues Gestein und elende Kälte. Alebin versuchte, sich ein Bild zu machen von dem, was er fühlte. War da vielleicht ein Arm, ein Bein? Irgendwas?
Nichts. Auch auf der anderen Brückenseite waren nur scharfe Kanten und stinkender Morast. Alebins Finger wurden klamm; er wusste, dass ihm nicht viel Zeit blieb, bevor er das Gefühl in ihnen verlor. Warum konnte nicht Sommer sein? Warum bestand die Brücke nicht aus Holz, das sich auseinandernehmen ließ?
Frustriert stand er auf und starrte die Felsplatten an, die ihr Geheimnis nicht preisgeben wollten. Mondlicht glitt über die Brücke mit ihrem festgeschraubten Kreuz. Es war mittig angebracht – an die Unterseite kam er nicht heran, solange er auf den Steinen stand.
Alebin entschloss sich zu einer Verzweiflungstat.
Er zog den Mantel aus, verfluchte das Schicksal, die Götter und die Welt … und stieg in den Bach.
»Ha-aa-aa-a«, machte er, als das eiskalte Wasser seine Lenden berührte. Tief atmete er ein, ließ sich mit knirschenden Zähnen hinuntersinken, immer weiter in diese grausame Kälte, und tauchte. Er sah es sofort, als er unter der Brücke die Augen öffnete. Da war ein schwacher Widerschein im nachtdunklen Morast; der letzte – allerletzte – Hauch einer Elfenaura! Alebin arbeitete sich zu ihr vor, durch zähen Schlamm und Sumpfgewächse. Er zitterte so stark, dass seine suchend ausgestreckten Finger viel zu hart an die Felsplatten stießen. Erst fühlten sie gar nichts außer Schmerz. Dann strichen sie über einen … Ja, was war es? Ein Vorsprung? Ein Zapfen?
Eine Nase?
Es war eine Nase. Alebin fühlte Augen, einen Mund, einen schlanken Hals. Dann drehte er um und rettete sich aus der Kälte. Lächelnd, verdreckt und halb erfroren stieg er aus dem Bacharm. Er hatte den Wechselbalg gefunden.
13 Jahrestag
Heute ist der Jahrestag.« Alebin spießte ein Stück Bratenfleisch auf die Gabel und schob es sich in den Mund. »Du weißt schon: der Jahrestag desch Fluchsch!«, nuschelte er kauend.
Mistress Braxton, die ihm gegenübersaß, gab keine Antwort. Bleich und teilnahmslos starrte sie vor sich hin. Erst als der Elf gereizt auf die Tischplatte schlug, hob sie den Kopf. »Ja, Herr«, sagte sie.
Alebin nickte zufrieden und beugte sich wieder über seinen Teller. Er hatte sich von der Witwe noch einmal eine besonders reichhaltige Mahlzeit kochen lassen, wollte sich noch einmal richtig sättigen. Es war sein letztes Essen in Whispering Willows, das letzte im
Grumpy Hog
.
Er warf einen Blick aus dem Fenster. Raureif lag auf dem hart gefrorenen Boden, und an den Dachrinnen hingen Eistropfen. Streiflicht brachte diese frostigen Zeichen des nahenden Winters zum Glitzern. Wie kostbares Geschmeide wirkten sie im Schein der sinkenden Sonne. Sie stand schon tief – eine Stunde noch, höchstens zwei, dann brach die Zeit der Bestie an.
Von den Dorfbewohnern war niemand zu sehen. Sie hatten sich in ihren Häusern verbarrikadiert, und dort würden sie bleiben, bis der Morgen kam. So hielten sie es immer am neunten November. Es war ein verständliches, aber tragisches Ritual.
Mistress Braxton hatte Alebin erzählt, dass der Fluch nur eine begrenzte Lebensdauer besaß. Er verging nach einem Jahr – und zwar auf die Minute genau. Wenn die Torfmuhme kam, hatten die Dorfbewohner jedes Mal einen Moment Zeit, sich zu besinnen und das Versteck des Wechselbalges preiszugeben. Taten sie
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