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Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse

Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse

Titel: Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse Kostenlos Bücher Online Lesen
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hier vorne stoßen die Wellen an den Felsen. Da folgt kein weiteres Geräusch, und das bedeutet: Er ragt ins Meer hinaus.«
    »Und woran merkst du, dass die Mauern zu einer Burg oder Festung gehören? Ich meine, das könnte doch auch ein großes Haus gewesen sein.«
    Nadja schüttelte den Kopf. »Dafür sind die Steine zu alt. Siehst du, wie unregelmäßig geformt sie sind? Es gibt keine durchlaufende, gleich hohe Lage. Das ist Schieferbruch, und der wurde zum Burgenbau verwendet.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich habe mal eine Reportage darüber gemacht.« Nachdenklich strich sie mit den Fingern an dem alten Gemäuer entlang. Aber nur kurz, denn die Steine waren eisig. Während sie die Hände aneinander rieb, fügte sie hinzu: »Und es kann kein Haus gewesen sein, weil die Zeiten zu hart und zu gefährlich waren. Wer sich heute eine Villa mit Meeresblick kauft, hat das nötige Kleingeld, um sich seine Vorräte einfliegen zu lassen. Diese Möglichkeit gab es zur Zeit der Ritter und Burgen nicht. Außerdem hätte sich damals kein Privatmann so exponiert auf einem Felsen niedergelassen, an dem fremde Schiffe vorbeifuhren – mit Kanonen an Bord!«
    David trat von hinten an sie heran und schloss sie in die Arme. Er zitterte vor Kälte. »Du bist so klug«, flüsterte er in ihr Ohr und küsste sie mit kalten Lippen. »So schön und so klug. Solltest du je ein Haus am Meer haben wollen, dann baue ich es dir. Aus Liebe, aus …« Er lachte leise. »… Schieferbruch und mit eigenen Händen. Für dich und unseren Sohn!«
    Nadja zuckte zusammen, als er Talamh erwähnte. Einen Moment hatte sie sich gut gefühlt in Davids Armen – gewärmt, behütet. Geliebt. Doch nun war der Schmerz wieder da, tief in ihrem Inneren. Die Sehnsucht einer Mutter nach ihrem Kind. Dem verlorenen kleinen Jungen, der in ihre Arme gehörte und nicht in machtgierige, fremde Hände, für die er nur Mittel zum Zweck war.
    »Wir werden ihn finden!«, hörte sie David sagen, und Nadja fragte sich einmal mehr, ob der Elf ihre Gedanken lesen konnte. Sie drehte sich zu ihm um.
    »Versprich es mir«, forderte sie erstickt.
    »Ich verspreche es!« David nahm ihre Hände und drückte sie an seine Brust, auf sein pochendes Herz. »Wir finden Talamh, und wir holen ihn heim, das verspreche ich dir. Aber im Augenblick müssen wir an uns selbst denken, Nadja.« Er sah sich um. »Wir können hier nicht bleiben – es ist zu kalt! Komm, lass uns nachsehen, ob wir einen Weg finden, der nach unten führt. Den muss es an alten Burgen doch gegeben haben.«
    Es gab ihn auch – oh ja. Er war nur schwer zu finden, und er sah anders aus, als David ihn sich vorstellte. Ganz anders. Gemeinsam mit Nadja machte sich der Elf auf die Suche.
    Die Dämmerung verstärkte sich, und irgendwo hinter den verlassenen Ruinen breitete schon die Nacht ihre schwarzen Schwingen aus. Es wurde früh dunkel um diese Jahreszeit, früh und schnell. Eine halbe Stunde noch, vielleicht sogar weniger, dann würde das winterliche Land in Finsternis gehüllt sein. Sternenlos, denn der Himmel verbarg sich unter einer geschlossenen, tief hängenden Wolkendecke. Sie sah so schwer aus, als wolle sie gleich herunterfallen.
    Nadja und David hätten viel darum gegeben, wenn die Mauerreste höher gewesen wären. Eisiger Wind heulte über das Felsplateau, und sie waren ihm schutzlos ausgeliefert zwischen den Ruinen, die nur selten mehr als kniehoch aufragten. Unter anderen Wetterbedingungen wäre es sicher interessant gewesen, dort oben herumzustreifen – sie konnten noch die Grundrisse einzelner Räume erkennen, sogar das Puzzle zu einem Gesamtbild zusammensetzen: einer Burg, wie Nadja es vermutet hatte. Doch darauf verschwendeten die beiden keinen Gedanken. Sie wollten nur weg. Egal, wohin, solange es warm war.
    Frierend kämpften sie sich landeinwärts. Der Wind brauste in Stößen über die ungeschützte Hochebene mit ihrem gefrorenen Erdreich und den schlüpfrig nassen Steinen. Mehr als einmal fielen die Liebenden hin. Man sah Nadja an, dass sie verbissen mit den Tränen kämpfte. Und erfolgreich.
    »Ich wüsste gern, in welchem Land wir sind!«, rief David gegen den Wind an.
    Nadja lachte auf. »Warum? Willst du dich bei der Regierung übers Wetter beschweren?«
    »Unbedingt! Diese Kälte ist eine Gemeinheit.«
    Sie entdeckten einen Pfad; ein schmales, elend glattes Ding, das vom Plateau hinunterführte. Dort, wo es sich lohnte, hatten spätere Generationen eine Eisenstange an den Felsen angebracht. Sie

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