Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927
ein endloser Gang beginnt, doppelt so lang schier als eine rechtschaffene Kegelbahn. Er wird durch Glasfenster vom Hof aus beleuchtet. An seiner Innenseite liegen zwei Kammern, die nur indirektes Licht erhalten. Nach diesen Kammern kommt ein Gemach, darin Afra haust und in einem Behälter aus schwärzlichem, zerbeultem Blech plätschernd hantiert. Das Ding erinnert der Form nach an eine Badewanne. Dann kommt die »Gelegenheit«, ein finsterer, bedrückender, ängstlicher Ort, und an diese schließt sich, last and least, die Küche an. Hier speisen die drei Weiblichkeiten zu Mittag und zu Abend, höre ich; vermutlich sind das die Momente des Tages, wo Frau Bibescu den Magen siegen läßt über ihr aristokratisches Empfinden und Stuhl an Stuhl mit dem Volke schmaust. Oder vielleicht soll das Volk kontrolliert werden, wieviel es schmaust, auf daß man es zügeln könne . . .
Wäre ich mein Leser, so hätte ich mich schon baß darüber gewundert, daß der Baron in dieser Geschichte noch nicht aufgetaucht ist. Ich, als Berichterstatter, weiß es besser: – er ist unpäßlich, würde sich aber nach Genesung ein Vergnügen daraus machen, dem neuen Mitmieter vorgestellt zu werden. Gazevorhänge vor den beiden erwähnten Kammern am Gang verhüllen das Krankenlager. Wann er sich lüftet, ist mir unerfindlich. Abends, wenn ich eine gelegentliche Pilgerschaft, einen Ausflug nach Süden, unternehmen muß, beleuchtet er sich mit sanfter Ampel. Von all diesen menschlichen Amphibien ist er entschieden das lautloseste. Alles, was ich entdecke, ist ein Schattenriß, aus dem eine Hakennase springt. – Zuweilen räuspert er sich bellend; mit Trompetenstößen schneuzt er sich. Sonst hört und sieht man nichts von ihm . . .
Dies ist die Situation, dies die Bühne; und was ich nun schildern will, bringt Katastrophe und Lösung. Denn all dies Ungelöste verlangt irgendwie nach einer Explosion, nach einem Windstoß, der diesen zaubrisch-boshaften Sumpf mit seinen lemurenhaften Bewohnern, zeitlosen Möbeln und halben Menschen von Grund aus aufpeitscht und in die grelle Beleuchtung des heutigen Tages zerrt . . .
Es sind ungefähr zwei Wochen seit meinem Einzug verflossen, und ich habe mich an das Milieu gewöhnt. All diese Unwahrscheinlichkeiten sind mir jetzt bekannt; renne ich gegen sie an, so deute ich – sozusagen – nicht einmal mehr nach der Hutkrempe, sage nicht mehr »Pardon!«, sondern springe sachlich und etwas unwirsch mit ihnen um. Ich soll jedoch gewahr werden, daß dies alles erst die Oberfläche ist. Denn die alte Afra paßt die Gelegenheit ab und gräbt dann ein erstklassiges Skelett aus.
Das ereignet sich so: ich stehe wieder einmal am Fenster; es ist Samstagmorgen, gegen acht Uhr. Da kommen, offenbar aus unserm Hause, zwei Gegenstände ins Rollen: zwei Paradiesvögel von seltener Farbenpracht . . . Ich blicke steil auf sie herab. Nein, es sind keine ausgestopften Erstaunlichkeiten; ihre Fortbewegung ist nicht mechanisch. Sie wandeln watschelnd. Sie überqueren die Straße. Ich kann sie von hinten sehen: ein junges und ein älteres Exemplar. Beiden eigentümlich sind sehr deutliche Schaukelbewegungen der unteren Partie. Beide tragen sie große Hüte aus rieselnden Straußenfedern und sackähnliche Seidengewänder. Der Eindruck des Exotischen entsteht dadurch, daß hier der Mutter Natur nachgeholfen, daß sie triumphierend übertrumpft wird durch die Zusammenstellung der Farben: Giftgrün schmiegt sich in Rosa, Karmin schreit auf unter Violett, und was sich an Bändern, Rosetten und Schleifchen dazwischengenistet hat, ist unsagbar mannigfach. Gerade als ich mir klarmache, daß das jüngere Exemplar, zart keimende Form der Mutter, niemand anders sein könne als Linda, schnappen zwei Sonnenschirme auf, blendende, feuerfarbene Räder, und entziehen mir den Anblick zur Hälfte. Vier winzige Schnallenschuhe, weit auseinandergesetzt, tasten darunter weiter wie die Füße von vorsichtig sondierenden Insekten; dann wallen die beiden Seidengewänder um die Ecke, dann erlischt das Phänomen . . .
Ich starre noch eine Zeitlang entgeistert auf die leere Straße, die noch soeben Schauplatz eines Märchens war. Das Wunder kroch mir unter der Nase weg, das zeitlose Wunder. Es entstand in einer neuzeitlichen, von Motoren durchschnurrten Gegend, begab sich auf den Asphalt des zwanzigsten Jahrhunderts . . . Da klinkt hinter mir die Tür, und die alte Afra ist im Zimmer. Sie ist sehr weit weg. Aber die Etage
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