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Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Titel: Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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Eine massive Nase, platt auf der Oberlippe aufliegend, kleine, engstehende, etwas schielende Augen, ein verdrücktes Kinn. Die Stirn ist schmal und von zwei kindlichen Falten zerschnitten, der Mund groß, wenn auch mit schönen Zähnen. Einige Fransen hängen gewellt über dies Antlitz herein, backfischhafte Simpelfransen . . . Was es sonst zu sehen gibt, ist weniger hoffnungslos. Die Figur ist schlank und äußerst biegsam, Hände und Füße edel. Das Haar ist erstaunlich. Jetzt, da sie aufrecht steht, kriecht die Zopfschlange bis unter die Kniekehlen. Sie schluckt auf und blinzelt mich aus ihren kleinen Augen an; sie glitzern wie Regen am Fensterglas. Dann sagt sie fast flüsternd:
    »Herr Doktor, auf Ehr': ich hab' wirklich nichts wollen da herin; die Mutter hat mich g'schickt, ich soll ihr was Okkult's holen, und da war'n Sie net da, und da hab' ich mir gedacht, ich schau einmal so nach . . .«
    »Gewiß«, sage ich sehr neugierig. »Ich habe nichts dagegen.« – Schon will sie hinausrascheln, da werfe ich ein Lasso mit den Worten: »Hier, warten Sie doch. Trinken Sie ein Gläschen? – Nein? – So. Sie kriegen den ›Schönen Menschen‹ hier, eine Fundgrube von Modellen. Den dürfen Sie dann mitnehmen; aber jetzt wollen wir einander kennenlernen!«
    Zögernd läßt sie sich nieder, aber doch sehr erleichtert. Das Gesicht, dessen Haut trübfarbig und spröd scheint, wie die eines Kellerpilzes, mit zwei, drei kleinen Pockennarben, die durchaus nicht als Grübchen passieren wollen, überzieht sich mit Rosenschimmer . . . Es zuckt darin. Der Busen ebbt ab, die Stoffalten zerrieseln wie Hafenwellen. Ich blicke tief in die kleinen, mißfarbenen Augen; sie verschleiern sich leicht. Nach einem letzten Kampf mit tierischer Scheu, einem letzten Schnaufer und Hüftenregen im Stuhl, hat sie sich bewältigt und wird zur Persönlichkeit, mit der man reden kann. Sie setzt mehrmals zum Sprechen an; dann entringt es sich ihr:
    »Der – ›Schöne Mensch‹, – das kann ich grad gut brauchen. Zum Kopieren und Lernen. Reizend von Ihnen, daß Sie mir das leih'n woll'n.«
    »Keine Ursache. – Ihre Frau Mutter lobte Ihr Talent; das muß man fördern.«
    »Was die Mutter spricht, ist ein Schmarrn«, erwidert sie fast heftig. »Die Mutter hätt' müss'n geboren sein auf der Dult (Jahrmarkt). Die preist mich jedem an . . . net zum Aushalten schier, als ob ich der Has' wär' mit zwaa Köpf . . . Schauen S', Herr Doktor, ich bin ein Hascherl, ich renn' in der Nacht umeinand', und sie sperrt mich ein. Gesünder werd man net davon und auch net schöner. Und warum tut das die Mutter? – Nur weil ich den Vater hör' und schreiben muß, was der Vater sagt. Und dann noch wegen dem Baron. Wenn Sie eine Ahnung hätt'n, Herr Doktor, wie die zwaa mich umeinanderreißen zwischen sich, als ob ich ein Kautschukmanderl wär' . . .«
    »Wie ist denn das?« frage ich und lege etwas suggestive List in meine Stimme, »wenn Sie Ihren Vater hören?«
    Ihre Augen irren ab. – »Hören eigentlich net«, flüstert sie. »Ich empfind' eigentlich nur, daß er da ist und daß er etwas sagt. Und dann packt er meine Hand, und ich muß halt schreiben, was er sagt. Und die zwei machen sich ihren Vers draus.«
    »Dann könnten Sie aber auch einmal etwas anderes schreiben? Einmal etwas äußern, was Sie selbst sich ausdenken, und das würde Ihnen ebenso bedingungslos geglaubt und als Botschaft Ihres Vaters betrachtet?«
    Sie antwortet nicht sogleich. Sie sitzt regungslos, die große Nase gesenkt, wie ein Vogel in sich fröstelnd. Es ist dunkler geworden; dann schlägt die Uhr. Sie hallt aus, und plötzlich spricht Fräulein Bibescu:
    »Ja – freilich – das könnt' ich, Herr Doktor; könnt' ich glatt. – Ich hab's auch schon anmal g'macht. Aber es ist schwer, so – furchtbar schwer.«
    Ich werde sehr aufmerksam.
    »Was tut denn Ihre Mutter, wenn Sie schreiben?«
    »Sitzt vor mir.«
    »Und was tut sie?«
    »No, sie schaut mich halt an.«
    »Ununterbrochen?«
    Sie faßt sich nach der Stirn, und eine neue Falte gesellt sich zu den anderen. »Ich weiß net, Herr Doktor,« spricht sie gequält; »ich weiß wirklich net . . . Der Vater sagt jedesmal, ich soll den Baron heiraten. Wenn ich schreib', bin ich ganz einverstanden, aber nachher graust's mir.«
    »Ihr Vater diktiert Ihnen das? Wirklich Ihr Vater?«
    »No freilich!« sagt sie erstaunt. »Ich spür' ihn doch!«
    »Soso«, sage ich. »Sie werden den Baron nicht heiraten.« – –
    Sie

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