Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927
Tag folgt, habe ich ein schauriges Erlebnis. Mir ist, als wache ich auf. Es muß gegen vier Uhr sein. Es herrscht ein milchiggraublaues Licht in der Wohnung, so ein greisenhaft unproduktives Licht, wie von einem Schachtlämpchen im Hades. Die Augen der alten Afra und die dumme Angst vor der Ratte, die nicht sterben will: der Erinnerung. Und woran? – An etwas fragwürdig Glaubensfeindliches, Nacktes, durch keine Beichte Wegzuklingelndes . . .
Eine perverse Neugier packt mich. »Ich will doch sehen,« sage ich zu mir, »ob das stimmt; das mit . . . dem Alkoven.«
Eigentlich fürchte ich mich, gleichzeitig aber treibt es mich magisch, den Schleier wegzureißen, hinter dem dieser psychische Abfallhaufen modert. Ich trete in meinen Saal; überall dieses graublaue Licht. Die Tür zum Korridor steht offen; die ganze Wohnung ist halb hell. »Jetzt herrscht das Odlicht . . .« denke ich schaudernd. »Man weiß nicht, daß ich wach bin.« Die Zeitlosigkeit des Unbelauschten, jäh in geheimem Wandel Überrumpelten. Plötzlich fängt die Standuhr in der Ecke an zu schnarren, mit häßlichem Laut, und ich sehe die Zeiger abwirbeln, so schnell, daß sie einen Dunst auf dem Zifferblatt erzeugen. Sie haucht eine Kältewelle herüber wie ein Ventilator. Ich wundere mich nicht im geringsten, daß sich das Phänomen von damals wiederholt; ich umgehe sie nur wie ein verdächtiges Tier.
Und dabei beobachte ich mich selbst, sehe mich gleichsam von außen, was ich tue. Mein Gesicht schimmert papieren. Ich schiebe mich weiter und spähe lauernd in den Korridor: die Tür . . . die Alkoventür . . .
Sie scheint geschlossen, doch hinter ihrem Milchglas glimmt ein trüber, grünlicher Schimmer, und dieser Phosphorschimmer scheint die Quelle und der Ursprung all dieser seltsam gleichmäßig verteilten Halbhelle zu sein. Ich nähere mich. Da drinnen steht (das weiß ich) Herr Bibescu, mit der Gardinenschnur um den geschwollenen Hals; – es ist wie im Kuckucksanschlagspiel. Er ist beileibe nicht tot. Dies sind seine Stunden, wo er Alleinherrscher der Wohnung ist. Er ist höchst lebendig, von Energien geladen; er bändigt die eigene Tatkraft dadurch, daß er sich – (ha, jetzt habe ich das Wort!) – an hängt! Nicht auf hängt! Meine Haare sträuben sich. Wie, wenn er sich belauscht spürte?! – Wenn er sich losmachte? – Wenn er hervorstürzte und mich den Gang hinunterjagte, ganz nach hinten, und mich dort stellte und anspränge?
Und es geschieht, geschieht: Es raschelt drinnen. Es poltert im Alkoven: die aufeinandergestapelten Möbel knarren, als ob sich jemand den Weg bahne. Der Schein im Milchglas wird heller . . . Schon klirrt das Glas, als tappten blinde Hände nach der Klinke . . . Ich schreie auf. Mein eigener Schrei weckt mich auf. Oder war es das schmetternde Räuspern des schlaflosen Barons? . . .
Ich stehe in Pyjamas mitten auf dem Gang. Spatzengeschilpe tönt aus dem Hof. Sonst ist es totenstill. Nur mein Blut saust, saust . . . die fern verdonnernden Wirbel des Acheron. Taumelnd finde ich zurück in mein Bett und erwarte, nach einem Schluck Martell, weitäugig die Geburt der Frühe und der gewohnten Geräusche, der einlullend-beruhigenden Sachlichkeit, in die sich die Dinge zu kleiden beginnen . . .
VI
Das große Ereignis tritt ein: ich lerne Linda kennen. Und zwar auf etwas ungewöhnliche Weise: als ich eines Tages um sechs Uhr nach Hause komme und dabei etwas leiser als sonst in den Korridor getreten bin, geschieht ein großes Geraschel und kurzes Schnaufen, wie das eines überraschten Tieres. Die Geräusche sind bei meinen Büchern in der hellen Dämmerung des hinteren Teiles; sehen kann ich noch nichts. Das Wesen gebraucht die Klubsessel zur Deckung. Ich spähe dahinter: da sitzt ein blauschwarzer, sehr dicker Zopf wie eine halb entrollte Schlange auf einem sehr bunten, zusammengezogenen Körper. Unterhalb der Stelle, wo ich die Schulter errate, bläht sich rhythmisch das Kleid von heftig lautloser Atmung kleiner Brüste.
»Na, kommen Sie schon heraus, Fräulein Linda«, sage ich warm. »Sie können sich ruhig meine Bücher ansehen, Sie brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben.«
Sie erhebt sich und wendet langsam und scheu ihr Profil zu mir. Mit der »Rose Saarons« ist es nichts; das sehe ich ein. Kein Reis und Zweiglein von der überreichen Herbstblüte der Alten. Sondern etwas Neuartiges, schier erschütternd Häßliches. Ja, Fräulein Bibescu hat ein Ponyprofil, kein Zweifel.
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