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Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Titel: Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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diktiere. Ich werde immer leiser diktieren, ich werde flüstern, ich werde atmen, ich werde denken . . . Worte, Worte. Du wirst ohne Unterbrechung weiterschreiben, denn meine Gedanken werden für dich schallen; nach innen wirst du lauschen und wirst sie hören. – Hast du verstanden?«
    Wieder ein gurgelndes »Ja«.
    »Alsdann schreib' auf folgenden Satz: – ›Meine Unvergeßliche, die du noch wandelst im Fleisch, aus den Asphodeloswiesen herüber dringt mein Ruf . . .‹ – Hast es geschrieben? – Weis her . . .«
    Leider werde ich gerade in diesem Moment von meinem Lauscherposten gescheucht durch die simple Tatsache, daß ein schmetterndes Räuspern die Erscheinung des Barons vorausmeldet. Ich habe gerade noch Zeit, mich in mein Zimmer zurückzuretten, da steht er schon hinten auf dem Gang und kommt nun mit langsamen Schlurfschritten auf meine Tür zu. Militärisches Klopfen. Ich rufe:
    »Herein!«
     
    Was nun auf der Schwelle erscheint, ist ein kahlgerupfter Geier, der Albino eines Kondors, wenn man so will, und schon stark bei Jahren. Ein Einzelgänger. Er ist einer jener Immobilienbesitzer, die gleich Phönixen aus dem Autodafé der Inflation hervorgegangen sind, ein Goldmarkrentner, ein seltener Kauz . . .
    »Bitte, nehmen Sie Platz«, sage ich und schwinge den Sessel so herum, daß er im Licht sitzt. Mit einem kleinen, hellen Räuspern sinkt das Männchen hinein. Gut vier von seinesgleichen hätten auf dem Möbel Platz. Er streichelt die Lehne mit der von Leberflecken gesprenkelten Rechten und spricht versonnen, in leicht ostpreußischem Tonfall, abgehackt, konstatierend: »Jut eingerichtet, die Frau, wie?«
    Ich nicke Bestätigung. – »Herr Bibescu hatte Geschmack.«
    »Sehr richtig. – Sie sind heite auch jebeten?« – Er zupft seinen ausgebleichten, hängenden Schnurrbart, und seine Augen, schlehenblau, treten etwas heraus. Er bemüht sich, meinen Ausdruck zu erkennen, doch sitze ich etwas zu beschattet für ihn. Das ist auch gut so.
    »Mir janz anjenehm,« fährt er zögernd fort, »daß ich Sie vorher sprechen kann, Herr Doktor. Ich möchte Ihnen nur zu verstehen jeben, daß jestern noch eine Konferenz Ihretwejen war; man ist – vielmehr die Damen sind – ein wenig soupçonneux, daß es Ihnen an Erleichtung fehlen könnte . . . Ich meinerseits bin von der Jejenständlichkeit der Manifestation Herrn Bibescus vellich iberzeicht.«
    »Um so besser,« sage ich, »dann ist ja die Atmosphäre günstig. Ich höre, daß der Glaube Berge versetzt; warum soll er nicht auch schöpferisch wirken? Voilà, Herr Bibescu tritt in Erscheinung . . .«
    »Ihr Wort in Gottes Ohr!« spricht der Baron und glotzt stärker. »Jewiß wirkt der Glaube unjeheier stark . . . Denken Sie etwa nur an ein Suggestionsprodukt mit einem gewissen Jrad von Realität? Nein, lieber Freind. Herr Bibescu ist Tatsache, objektiv vorhanden. Der Glaube ist eine Bricke, ein Trapez, auf dem er sich iber die Schwelle hiniberschwingt. Nun, jut, auch ich war skeptisch zunächst; nun aber bin ich erleichtet . Prifen Sie selbst! Doch mißte – da bin ich mir mit den Damen einig – ein jewisser Jrad von Wohlwollen, von Neitralität bei Ihnen zujejen sein . . .«
    Ehe ich ihn über diesen Punkt beruhigen kann, öffnet sich die Tür. Die Dame des Hauses steht darin. Es ist nicht das Hausgewand aus Schillersamt; es ist etwas weit Prächtigeres, was sie heute trägt: ein Kimono ist's, goldene Drachen auf schwarzem Grund, mit fächerhaft entspreizten Krallen, silbern geifernd. Einem Paravent entnommen, Reservestück ihrer Garderobe, aller Exportartikel schwelgerischster . . . so trägt sie es kühn, mit zugekniffenem Mund, streng das klassische Gesicht; sie weiß, es wirkt. Vorn baumelt eine lange Mandarinenkette, keine Exportware; scheppernd schlägt Bernstein an Rosenquarz und Chrysolith, und eine lange Seidenquaste verliert sich in mollig-nächtlichen Regionen. Roten Saffian, Schuhnummer 34 (ich bitte!) an den Füßen, die paillettenbestickt den Dom ihres Leibes tragen. Ein Geruch strömt mir entgegen und stimmt mich lau: eine Mischung von Kampfer und Ambra. Und sie, die Sibylle, neigt das Haupt; sie hebt aus rauschendem Ärmel die Hand und kredenzt uns förmlich die Richtung mit den klassischen Worten:
    »Darf ich jetzt bitten – – beide Herr'n!«
    Wo habe ich doch schon Ähnliches gehört und gerochen? – – – Ich habe keine Zeit, ich reiße mich zusammen, und wir ziehen unter ihrer Führung, eine

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