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Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Titel: Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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Prozession, in jenes von Afra verfemte, von Geheimnissen schwangere Zimmer hinein . . .
     
    Das ist der Orient, den ich rieche, spüre und erblicke. Einmal in meinem Leben empfand ich das schon, genau so stark. Ich saß, müde, in der Säulenhalle der Muaijad-Moschee. Aus Flammen geklöppelte Spitzen, vor meinen Knien am Boden, blendeten mich, doch war ich zu benommen, um den Kopf abzuwenden. Das war die Sonne, die durch das arabische Gitterwerk aus Stuck und durch die Rosette drang. Es war kühl hier; von draußen kamen, halb erstickt, wüste Händlerschreie und das brünstige Schluchzen eines Esels. Diese Stimmung, genau dieselbe, faßt mich hier. Ich sehe in ein Dämmerlicht, das allerhand bunte Farbtupfer hervortreten läßt; ein dumpfes Schwären von gesättigten Farben. Vorn steht ein chinesisches Tischchen, auf dem eine Schiefertafel und ein Griffel liegt. Davor, dem Fenster zugewandt, bemerke ich etwas Nilgrünes, mit gelösten schwarzen Flechten: Linda im Hocksitz. Ihr Profil, perlblaß, ruht regungslos auf dem Kissenaufbau, der in ihrem Rücken aufgestapelt ist. Genau ihr gegenüber, auch im Hocksitz, thront die Sibylle. Die Ritzen der herabgelassenen Jalousie malen ein geometrisch exaktes Linienmuster auf den Zimmerboden: pinselfeine Striche aus Glut. Hinter der Jalousie quillt verworrener Lärm auf und verebbt rhythmisch, einlullend, in Entfernung gerückt: das Geknatter der leerlaufenden Motoren.
    Hoheitsvolle Handbewegungen weisen uns unsere Kissensitze zu: dem Baron links und mir rechts von Linda. Nun sagt die Sibylle mit einer seltsam blechernen, eintönigen Stimme:
    »Hörst du mich?«
    Das Profil zuckt nach vorn. Der Mund öffnet sich halb; dann gurgelt ein halb ersticktes »Ja«.
    »Nimm Schreibtafel und Stift. – Dein Vater ist hier. Du siehst ihn. – Er sitzt neben mir. – Er macht den Mund auf, er spricht langsam. – Was sagt er dir? – Schreib's nach.«
    Die Hand mit dem Griffel tastet nach der Tafel. Die Augen Lindas stehen weit offen, hineinverbohrt und eingeschmolzen in die schwarzen, flüssigen Pupillen der Mutter. Und nun beginnt der Stift zu kratzen. Vage Linien zunächst und Kurven. Dann werden es Buchstaben, Wörter. Ich bemühe mich heiß, festzustellen, ob die Alte die Lippen bewegt oder nicht. Es gelingt mir nicht, da ich fast nur die schwarze Silhouette ihres Kopfes sehe. Der Baron, todernst, höchst andächtig, glotzt mit seinen hervortretenden Augen auf die schlanke, weiße, geschäftige Hand des Fräuleins. Sein Interesse ist zügellos; auch ist er, wie mir scheinen will, ein weniges nähergerückt, anscheinend, um jetzt schon zu versuchen, mitzulesen, was jedoch bei der Beleuchtung kaum möglich ist. Sein Ellenbogen ruht dicht an dem in Trance gelösten, schlanken Schenkel des Mädchens; sein ausgebleichter Schnurrbart zittert. Er ist höchst angeregt und voll brünstiger Überzeugung.
    Linda hat verhältnismäßig schnell und ohne abzusetzen die Tafel vollgekritzelt. Die Mutter wendet nun die Augen von ihr ab, und die Lider des Mädchens beginnen zu zittern. Sie fährt noch einmal mit dem Griffel umher, als wolle sie weiterschreiben; doch die weiteren Äußerungen des verewigten Vaters bleiben als stumme Runen in der Luft hängen. Kein Wunder: ist ihm doch auch die Tafel entzogen, die die Mutter an sich gerafft hat. Ihr Profilschattenriß, als sie sich jetzt näher zu den lichtspendenden Jalousieritzen neigt, tritt klassisch in Erscheinung. Sie liest stockend vor, sie liest mit eintönigem Singsang. – »Zunächst einmal kommen wieder« – spricht sie, »die üblichen Krähenfüße und Schnörkel. Da tastet er noch, bevor daß er hinüberlangen kann ins Diesseits. – Nachher aber – bitte die Herren, sich zu überzeugen – wird's deutlicher; und dann kommt: ›Meine Unvergeßliche, die du noch wandelst im Fleisch, aus . . . A . . . Asphodelos –‹ (eigenartig, was? Das wird ja eine glänzende Manifestierung) – ›also Asphodeloswiesen‹ (no, wenn das nicht poetisch ist . . .) – ›hinüberdringt mein Ruf zu dir und der Jungfrau, die du schützest und behütest. – Ich webe und lebe hier, um euch und über euch. Harret, und alles wird gut. Ich sehe einen Freund, einen älteren Freund. Er wird ihn tragen, den Edelstein; er wird es erlangen, das Ziel.‹ –«
    Die Sibylle hat es heruntergebetet wie den Textbeleg zu einer nachfolgenden Predigt. – Der Baron indessen ist gänzlich zu Linda hinübergerutscht, und seine welke Hand gleitet leise

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