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Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Titel: Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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sollten – damals, gerüchtweisem Vernehmen nach, lebte ein Jüngling namens Bogumil oder Boggi, wie ihn seine Freunde nannten. Er hatte sein Leben auf der Verneinung auferbaut und betrieb sie mit Kunst und Ausgiebigkeit, so daß er die Stütze junger Geister ward, die sich von hausbackener Begeisterung fernzuhalten strebten. So genoß er, von trockenem Witz und bissig, einer schmeichelhaften Autorität. Sein Gesicht, trotz seiner dreiundzwanzig Jahre bereits mit drolligen Fältchen geschmückt, war eher weich als scharf geschnitten. So bot sein äußerer Anblick auf den ersten Blick nicht gerade den passiven Mephisto dar, den er herauszustecken liebte. Die Dosis Gemüt, über die er verfügte, äußerte sich in einem weniger genußfähigen als kritischen Blick für Bilder, Verse, Himmelstinten und hübsche Mädchen. Einmal, flüsterte die Legende, sei er verliebt gewesen und habe sich auf diesem ungewohnten Boden wie ein junger Hund benommen. Er, der Meister! Er, der Unantastbare! Das Faktum forderte ein Lächeln heraus, doch die Ehrfurcht stimmte tolerant.
    In betreff des »jungen Hundes« lief noch weitere Version um: er habe sich, noch ehe er sich zur Bulldogge, den Raffzahn ins Nasenloch geklemmt, auswuchs, am Schlusse bemeldeter Verirrung kräftig gesträubt und seine Liebe mit scharf beklauter Pfote jämmerlich entblättert. Das blasse, unansehnliche Geschöpfchen wußte sich jedoch das Interesse der Jünger des »Meisters« durch einen eigenmächtigen Lebensabschluß zu erhalten. Das letztere bildete den wirksamen Beschluß jener rührenden Legende, wiewohl Boggi die düstere Phrase: »Das Weib habe nicht die Kraft besessen, sich gegen das Leben zu wehren . . .« dann und wann nachdrücklich betonte.
    Genug, man schlachtete es in zwei oder drei eingehenden Biographien aus. Denn da Boggi es grundsätzlich verschmähte, eine Feder anzurühren, so übernahm es die Eskorte, seine Bonmots und sein Leben, das sich durch Eigenart der Beachtung empfahl, festzulegen. Er hatte nämlich keinen festen Wohnsitz, war überhaupt mit Glücksgütern nicht gesegnet. Seine Mäzene, oft jünger als er, erleichterten ihm das Dasein, denn sein Rat, sein Ausspruch dünkte ihnen Gold zu sein. Er schlief nach einem geregelten Wochenplan in fremden Betten, aß Menüs aus privaten Küchen oder Gasthöfen, eingeladen oder auf Grund vorbehaltlichen Übereinkommens, wie es sich gerade machte, und bezahlte seine Gönner mit stets bejauchzten Paradoxen oder ähnlich hinfälligen Redeblumen, die man später unter dem Titel »Herbstzeitlosen eines Geistes« in Buchform der Öffentlichkeit vorzulegen nicht verabsäumte.
    Damals, in der Zeit ihres Entstehens, waren die »Herbstzeitlosen« noch für den Sommer geboren, als Knospenschimmer auf der nicht allzu dornigen Höhe dieses spröden Genies. Ihren aparten Namen erhielten sie erst, als das Folgende eintrat, das ich zu berichten unternehme: man hätte es selbst der spekulierenden Phantasie Boggis nicht als glaubwürdig hinstellen dürfen, ohne auf eine verwirrende Abfertigung zu rechnen. Denn eines Tages, als er, uneigennützig wie er war, in der Wohnung eines Muttersöhnchens auf dessen Wunsch sechzehn Liköre auf ihren Spritgehalt geprüft hatte, bettete er sich auf die seidene Steppdecke und hub an, sich einsam und behaglich der Wirkung dieser Genußmittel zu überlassen.
    Es hat vielleicht ein beiläufiges Interesse, wenn ich seine Erlebnisse schildere, von dem Punkte an, wo seine Auflösung einsetzte, bis zu dem Punkte, wo sie vollendet war.
Der Marquis du Sang-Froid
    Boggi lag zuversichtlich da und spürte den Planetenzustand einer großen, alles in ihren Blutwirbel hineinsaugenden Betrunkenheit. In den warmen Tiefen unergründlicher Bewußtseinsspalten brausten Urgewässer zweifelhaften Zielen zu. Urtöne begannen in launenhaften Rhythmen zu schwingen, als würde jedes der Gläser, die er um sich versammelt, am Rande leise gerieben. In dem großen Kessel, wo der Weingeist ihn mit tausend flüchtigen Bläschen sott, wurde der Höllenbraten gar, und eine große, abrechnende Beschließerstimme ward hörbar:
    » Akute Alkoholvergiftung! «
    Boggi grinste fröhlich und sprach laut und vernehmlich in die samtene Ampelbeleuchtung des Zimmers hinein: »Wie Sie belieben!« ohne doch im Augenblick recht zu wissen, wen er ansprach. Doch wurde ihm die Situation plausibel, als ein unterernährter Herr einen korrekten Seidenhut vor ihm lüftete, mit einer Gebärde, die besagte: »Darf ich Sie

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