Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927
wieder den Kopf und blinzelt. Die Tafel wird ihr gereicht; sie beginnt mit Schleifen und Kreisen. – Und dieser Moment, spüre ich, ist äußerst wichtig; jetzt ist der psychische Haken da, an dem ich meinen Einfluß einhängen kann. Ich weiß nicht, ob es mir gelingen wird, die schwarzen Augen da am Fenster, den üblen, einfangenden, saugenden Zauber zu lähmen. Ich muß die andere Kraft paralysieren; es ist nicht leicht. Ich starre angestrengt in die flammenden Jalousieritzen; ich forme innerlich Worte, Worte. Mein Wille krampft sich zusammen; ich fühle, daß meine Stirn feucht wird und meine Hände kalt. – Die Sibylle regt sich, als wolle sie sich zurechtsetzen; nervös bastelt sie an den Kissen ihres Daunenthrones. – In den Wirbel zweier konträrer Suggestionen geraten, keucht das Kind und äußert kleine, hohe Vogellaute. Der Griffel kratzt, zögert, schleicht zurück, ruht auf einem Punkt, bohrt sich in die Tafel – und auf einmal, als sei eine hemmende Feder gesprungen, schreibt sie schnell und flüssig zwei, drei Zeilen. –
»Hast du geschrieben?« fragt die Mutter mit etwas hastiger Stimme. »Weis her.«
Merkwürdigerweise antwortet die Tochter nicht, sondern ruht sich schwer atmend aus.
»Ob du fertig bist?« fragt die Mutter nochmals, diesmal mit schneidender Stimme. – Da bebt die Tochter, hebt die Tafel; – aber anstatt sie hinüberzureichen, dreht sie sich langsam, wie blind, zu mir und schiebt sie mir zu. Ich nehme sie und trete ans Fenster.
»Nun?« – Die Alte wird sehr lebhaft. – »Was steht drauf, Herr Doktor? – Gewöhnlich gelingt es nicht beim zweitenmal, entweder macht er Unsinn oder er wird unverständlich . . .«
»Eigentlich recht verständlich«, sage ich laut. »Er schreibt . . .« In diesem Augenblick fängt Linda an, um sich zu schlagen. »Das Kind kehrt zurück! – Wecken Sie sie schnell, gnädige Frau!« – Die Mutter, etwas konfus, etwas gegen den Strich gekämmt, weiß sich in den programmwidrigen Verlauf der Sitzung noch nicht recht hineinzufinden; immerhin fährt sie der Tochter zweimal über die Augen:
»Du fühlst dich wohl, ganz wohl! – Eins, zwei, drei! – Nun bist du wach! – – –«
»Was schreibt er?« fragt der Baron plötzlich mit knarrender Stimme dazwischen . . .
Ich habe mich inzwischen auch der Aufmerksamkeit Lindas vergewissert und lese vor – jene unter Schweiß und ächzender Anstrengung geformten Worte, die ich wie Nägel in die weiße Wand ihres Unterbewußtseins getrieben – lese also folgendes:
»Meine Unvergeßliche! – Ich bin gar nicht hier. Ich war nie hier. Ich bin ein großer . . . Humbug. – Als ich mich aufhängte, war alles aus. «
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»Nicht möglich!« sagt Frau Bibescu außer sich und sehr scharf. »Nicht möglich, daß er das diktiert hat!«
»Aber gnädige Frau!« setze ich dagegen. »Er macht eben einen seiner Scherze . . . Sie erzählten mir doch selbst, daß er zuweilen ausfallend wird . . .«
»Ja . . . das schon . . .« meint sie, sich mühsam beherrschend. Immerhin schlägt sie mit der flachen Hand zur Bekräftigung auf die Schiefertafel. – »Das schon! – Ausfallend! – Aber so etwas hat er noch nie g'schrieb'n! – Unlogisch, das war er noch nie!« Ihre Augen, die mich anstarren, haben etwas Flackerndes, Bösartiges.
»Erlauben Sie,« mengt sich hier der Baron ein in seiner schleppenden Sprechweise – »liebe Frau, – jestatten Sie die Anfrage: bin ich unerwünscht?«
Sie zwingt sich ein verzerrtes Lächeln ab. »Großer Gott, Herr von Meerveldt, bitt' Sie, wieso?«
»Aber wie kommt Ihr Herr Gemahl dazu, sich selbst zu . . . desavouieren?«
Die Frau hat sich inzwischen damit beschäftigt, die Jalousie halb in die Höhe zu ziehen. »Das sind, Herr Baron,« spricht sie jetzt nach einer kleinen Überlegung, »böse Zwischeneinflüsse. Ein Mockspirit ist dazwischengekommen. Das Diktat stammt nicht von meinem Mann.«
»Sondern von . . .«
»Begreifen Sie doch!« ruft sie jetzt und macht eine beinah handgreifliche Geste. »Der Kontakt war gestört! – Wissen wir denn, wie's im Jenseits ausschaut? – – Mein Mann war ausg'schaltet, weggedrängt . . . durch einen Spottgeist, was weiß ich . . . Durch einen üblen Einfluß . . . No, das ist schon vorgekommen . . . Und Sie, Herr Doktor, Sie ham ihn heraufbeschworen, den üblen Einfluß . . . Was glauben Sie, wie der Mann erschöpft war nach der ersten Kundgebung – nein, unbedingt muß er her für eine
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