Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927
zweite, wo er nicht zu Wort kommt . . . Da muß man schon ein wenig mehr verstehen von der Praxis als Sie . . .« Sie faucht; ihre Wut bricht durch. »Wenn man ein blutiger Laie ist, mein Gott, der was keine Ahnung hat vom Verkehr mit dem Zwischenreich, dann drängelt man sich nicht herein zu einer ernsthaften Sitzung . . .«
»Hab' ich mich ›hereingedrängelt‹? – Sie sind sehr erregt.«
Sie bezwingt sich mühsam. »Ich bin erregt; meine Nerven . . . Aber Sie haben versprochen, Sie woll'n objektiv bleiben und mir die Leitung überlassen. Und wer fahrt dazwischen und vermasselt das schöne Phänomen?«
»Mutter,« spricht auf einmal Linda mit ganz kindlicher, heller Stimme, »warum schimpfst denn du eigentlich so?«
»Schau her, da steht's schwarz auf weiß. – Und das soll der Vater diktiert haben . . . So einen Irrsinn von Aufhängen und so . . . Wo ihn doch der Schlag gerührt hat, den Armen, samt seiner Bürde von unausgesprochenen Wünschen . . . Wo er in meinen Armen g'storb'n is . . . Sag's selbst, das kann er nicht diktiert hab'n . . .«
Linda faßt sich nach der Stirn. »Ich weiß gar nix«, sagt sie weinerlich. »Laß mir doch mei' Ruh . . .«
Hier geschieht etwas Unerwartetes, Hochdramatisches.
Die Tür geht auf, und die alte Afra steht darin.
Und mit der hohlsten Kellerstimme der Welt, den einen Arm anklagend, hölzern erhoben, spricht sie in die plötzliche Stille hinein:
» Affg'hängt hot a si. – Und dees waaß neamd besa ols wia–r–i. «
Tableau!
Zwanzig Sekunden Stille.
»Hinaus, Sie alte Hexe!!« kreischt Frau Bibescu auf und stolpert fuchtelnd auf die Alte zu.
Doch unerschütterlich tönt das Kellerorgan weiter, und der runzlige Daumen der Rechten dreht sich, über die Schulter nach dem Alkoven deutend:
»Dees machen Sie scho guat, Frau Bibescu. I bi krischtkadolisch und ka Hegs'n. – Im Alkowen drüm, un dees woaß da Herr Dokta so guat ols wia–r–i, gelten S', Herr Dokta, hot a si affg'hängt. – Und weil Sie mi a Hegs'n hoaßen, Frau Bibescu, geh–r–i. – Weil Sie selm a Hegs'n san.«
»Spionin!« gellt die Stimme der Frau. »Gehn Sie! Gehn Sie! – Lügnerin! – Sonst vergreife ich mich!«
Doch triumphierend meckernd, wie eine verräucherte gotische Figur voll hölzern-steiler Emphase, bleibt das alte Wesen stehn . . .
»Und Sie, Herr Doktor,« wendet Frau Bibescu sich jetzt an mich, und ihre Hände schweben mir wie Krallen vor den Augen – »haben mir jetzt den Blick geöffnet. Sie bedienen sich also eines verblödeten Dienstboten, um gegen mich zu konspirieren . . . Sie werden die Güte haben, am nächsten Ersten auszuziehen. In Gesellschaft dieser . . . babbelnden Idiotin . . . Ich kündige Ihnen . . .«
* * *
Weder ich noch der Baron hausen mehr in jener verwunschenen Etage. Jene dramatische und farbige Episode meiner ahasverischen Irrfahrt als Untermieter ist in die Vergangenheit zurückversunken.
Dort, wo die bauchigen Scheiben Seiner Eminenz, doppelt blitzblank seit dem Konkordat, ihr Licht aus zweiter Hand in den dämmerigen Saal schicken, der einst meine Zigeunerherberge war – dort hausen noch und zaubern die beiden erstaunlichen Frauen. An Stelle des Barons lebt in der Kammer am Gang ein verhutzelter, kleiner Blumenhändler, ein dem praktischen Okkultismus annoch unzugängliches Männchen, in Gesellschaft eines räudigen, alten Dachshundes.
Wie lang er dem Zauber widerstehen wird?
Nach dem Tumult hat die Zeitlosigkeit wieder eingesetzt. Das wird noch lange, lange so bleiben, denke ich; denn ich habe den Verdacht, daß die alte Afra unsterblich ist. Denn diese ist, nach einem kurzen Aufenthalt im Armenhaus, trotz ihrer mächtigen »christkadolischen« Bedenken an ihren »Posten« zurückgekehrt. Und was Frau Bibescu anlangt, »kaum fünfzig, ich bitt' Sie! in den besten Jahren!«, und gar erst die begabte Linda mit ihrer knapp achtzehnjährigen Erfahrung – – – was diese beiden anlangt, so werden sie wohl noch jahrzehntelang, mitteleuropäische Unika, im bunten Schimmer verschollener oder nie erhörter Mode über den tristen Asphalt des Bankenviertels wandeln!
Der Weg zum Chef
Apotheose eines Literaten
Erster Teil
Während des ersten Jahrzehntes dieses Jahrhunderts, also während einer nicht unromantischen Epoche unsrer Vorkriegszeit – in die sich der gütige Leser zurückversetzen möge, wenn ihn unsres Helden Beklemmungen ein wenig überholt oder gar schon historisch anmuten
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