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Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Titel: Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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»Wahrhaftig,« dachte er, »man ist allhier gut und modern organisiert.«
    Da hörte er ein fernes, traumfernes, kläffendes Tuu . . . tuu . . . Eine Hupe. Boggi dachte: »Da kommt jemand schneller vom Fleck als ich . . . Tot bin ich ohnehin, und ›tot‹ hat keinen Komparativ. Guter Witz, wenn ich mich vor die Räder würfe! Man wird mich vielleicht zweckmäßiger und resistenter wieder zusammensetzen.«
    Mittlerweile blinkten in der Richtung, in die er gespannt lauschte, zwei grüne Lichter auf, die rasend schnell wuchsen. Strahlengarben grünen Feuers jagten voran, und mit einem Male war es da, langgestreckt, wuchtig. Der schwarz spiegelnde Motorkasten schob sich in Sehweite. Er glich einem Sarge, in dem eine Unzahl Pferdekräfte gefesselt tobte; er war an vier Meter lang und fauchte wie ein Raubtier der Vorwelt. Boggi warf sich auf die Straße, ohne Herzklopfen, wie ein Scheit Holz. Der Motor sprang in die Höhe, knatterte wie eine Mitrailleuse und vollführte einen drolligen Tanz um die lotrechte Achse. – Ein Pfiff, und das Fahrzeug stand.
    Der Motor schnappte ab, und eine ärgerliche Fistelstimme behauptete sich. Aus den Polstern löste sich ein Ballen von Gummistoff und rollte auf die Straße. In diesem Ballen steckte ein schmalwangiger, spitzbärtiger Herr, der eine grüne Schutzbrille trug; er näherte sich Boggi, hüstelte und sprach mit einer scharfen, farblosen Stimme:
    »Sind Sie ganz?«
    »Wie Sie sehen«, erwiderte Boggi und erhob sich. »Die Sache wurde erleichtert durch den Umstand, daß ich nicht Materie, sondern nur noch Esprit bin, wenn Sie gestatten.«
    »Verdammt, Sie haben recht«, knarrte der Mantel. »Sie sind ein schlauer Kunde; Sie hätten mir beinahe eine Panne beigebracht!«
    »Ich sehe keinen Grund, mir hier die Beine abzulaufen«, sagte Boggi gewinnend. »Ich habe es durchgesetzt hierherzukommen, und hoffe auf eine Sinekure. Es ist rücksichtslos, ein ganzes Schock armer Seelen auf dieser langweiligen Straße dahinzotteln zu lassen, ohne begründete Aussicht auf eine angemessene Veränderung. Sie werden das einsehen! – Ich habe mir daher erlaubt, mich abzusondern.«
    Der Spitzbart wippte in die Höhe wie der Schweif einer Bachstelze, denn der Kavalier war amüsiert und grinste mit vielen Fältchen. Dann sprach er: »Ich durchbreche ungern meine Prinzipien, doch Ihre Entschlossenheit gefällt mir. Sie sind ein Egoist! He he! Eine Gattung, für die ich immer Kuverts auflegen lasse . . . Nehmen Sie Platz. Um mich vorzustellen: Marquis du Sang-Froid, Inspektor, Inhaber und Papst dieser freundlichen Gefilde.«
    Man machte sich's bequem. Die Hupe jammerte wie ein Hund, dem man auf den Schwanz tritt, und der Motor begann tief und dumpf zu rauschen. Boggi bat um eine Zigarette und erhielt sie. Er steckte sie an einem Schwefelhölzchen an, was ihm ohne weiteres gelang, da trotz des rasenden Tempos, mit dem man die Straße unter die Räder warf, nicht der geringste Luftzug herrschte. Als Boggi einige Züge getan hatte, überkam ihn der alte Planetenzustand: zeitloses Vegetieren und zwischendurch eine kräftige Lust nach Sensation.
    Da kniff der Marquis in den Gummiball, denn die Gesellschaft, der sich Boggi zuerst angeschlossen, war erreicht. Ein vielstimmiges »Halt!« aus vielen Kehlen klang zusammen, ohne jedoch Beachtung zu erfahren.
    »Das ist nun schon die sechste Fuhre armer Seelen, die ich heute zähle«, sprach der Marquis durch die Zähne. »Wir haben jetzt stärkeren Zulauf, da der Selbstmord epidemisch wird.«
    »Also alles Leute von Entschluß und Rückgrat!«
    »Mein Lieber, Sie neigen zu Beschönigungen. Das Rückgrat knackt euch allen ab. Ihr treibt zu viel Grenzgebiete und Gedankensport.«
    »Also kommt nur die Elite der Intelligenz herunter?«
    »Freilich. – Aber unter diesen nur die Selbstmörder, d. h. die Gewohnheitsmenschen, die Nichtproduktiven, die bloßen Textkritiker und Kiebitze, die dem Leben in die Karten gucken. Durchschnittler, die das Gros darstellen, werden weder bei mir noch beim Chef akzeptiert. Dem Chef gehören die Philosophen und Künstler.«
    »Dem Chef?? «
    »Junger Mann, denken Sie nach, und Sie werden wissen, wen ich meine. Denken Sie an den Gegenpol, die nimmersatte Produktion und die bekannte Schlange, die sich in den Schwanz beißt, den Kreislauf ! Denken Sie an die Kraft! – Jeder, der in seinem Leben einen Vers gemacht, rutscht mir durch die Finger. Jeder Pinselstrich, ja jeder kleinste augenverdrehende Gedanke ist eine Stufe

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