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Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927

Titel: Seidel, Willy: Alarm im Jenseits. Nn. 1927 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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herausbitten?«
    Dem Boggi war dies peinlich, zumal er rechtschaffen müde war, und er ignorierte den mageren Kontrahenten, wie er überhaupt zeit seines Erdenwallens derartige Förmlichkeiten vermieden hatte. Und der Herr hatte auch die Rücksicht, sich zu verflüchtigen, nicht ohne zu dem anschwellenden Gläserkonzert vorher einen kleinen Tanz auszuführen. Boggi glaubte noch einen Spiegel aufblitzen zu sehen, und in diesem sah er sich ganz objektiv die Todesqual an, die er naturgemäß durchmachte; er sah seinen letzten Kampf in eine Minute zusammengepreßt, mit allen Grimassenphasen, bis seine Augen, zuvor blank, wie Stearintropfen schrumpften. Dann konnte er sich eine Zeitlang keine Rechenschaft mehr von seinem Befinden geben. – – – Als er sich annähernd wieder über sich klar wurde, fühlte er ein gedämpftes Zittern unter sich. Über ihm halbkugelförmig in die schmale Decke eingelassen, hing eine Bogenflamme; der Strom sang und siedete leise zwischen den Kohlenstäben, so daß ein unbarmherziges, weißes Licht den gutgepolsterten Raum erfüllte, den er als das Coupé eines D-Zuges erkannte. Ein Surren umgab ihn auf beiden Seiten; die Luft wurde draußen von einer unerhörten Geschwindigkeit zerrissen und stand wie eine pfeifende Mauer hinter den dicken, spiegelnden Scheiben. Boggi, der sich nur halb ausgeschlafen fühlte, verhüllte die Lampe mit einem grünen, konvexen Schirm. Eine laue, stetig wachsende Wärme erfüllte den Waggon; an den Wänden waren Spiegel, die sich gegenüberstanden, mit einer unerschöpflichen, dämmernden Perspektive. Wohin die Fahrt gehe, überließ Boggi in einem träumerischen Fatalismus der Zukunft.
    Da erschien der Kondukteur, ein hübscher und adretter Bengel in einer simplen Uniform, und überreichte dem Fahrgast mit einer lässigen Geste ein rotes Billett, auf dem in zierlicher Druckschrift vermerkt stand: »Passepartout pour l'Enfer«. Die Hitze wurde stärker, doch Boggi fühlte sich nur angenehm davon erregt. Das Surren fand draußen ein Echo, wie in einem Tunnel, und vervielfachte sich zu einem disharmonischen Getöse, wie Trambahnschienen auf einer Kurve. Dann glitten vielerlei Lichter draußen vorüber, eine Hetzjagd von Farben, die zuletzt nach der Skala des Regenbogens zu einem bläulichen Weiß verschmolzen. Plötzlich schwieg das Getöse wie ausgelöscht, weggewischt, und wie auf Gummi glitt der Zug weiter, verzögerte sich fast schmerzhaft gewaltsam und stand.
    Ein Untergrundbahnhof von dürftigem Typus eröffnete sich Boggi, als er heraustrat. Es herrschte ein reger und seltsam geräuschloser Verkehr. Unter den Leuten, die den anderen Waggons entstiegen, gab es nur gut geschnittene, wenn auch mehr oder minder von Ausschweifung gezeichnete Gesichter, die alle einen Ausdruck von Resignation oder Gleichgültigkeit trugen. Der Kleidung nach rangierte alles in die besitzende Klasse; und die bunte Gesellschaft bewegte sich mühsam, gleich dem Beschauer von einer rätselhaften Kraft niedergezogen, wie unter der Last eines schwer zu atmenden Fluidums, dem Ausgang zu, wo sich ein großes schwarzes Tor erhob.
    Bevor man hindurchtrat, wurde man einer seltsamen Prozedur unterworfen. Die Billette wurden abverlangt, und zugleich legten die Beamten ein elastisches Meßinstrument um die Stirn jedes Passierenden.
    Hierauf verfügte sich die ganze Gesellschaft durch das Tor in ein Land, in dem ein abendliches Zwielicht herrschte. Der Himmel war hier von einzelnen ziemlich fernen, strahlenden Punkten durchsetzt. Das Land schien eben, die Fernsicht dämmernd, hügelarm, unbegrenzt. Zu beiden Seiten der weißleuchtenden Straße, die schnurgerade verlief, gab es eine wilde, duftreiche Vegetation. Man unterschied hier und da, wo der Wald durch moorige Strecken unterbrochen wurde, erstorbene, phosphoreszierende Bäume, die grotesk geformte Äste in die Luft hoben, verzweiflungsvollen Armen vergleichbar oder zusammengekrümmt wie erstarrte Kadaver. Erschreckend viele schwarze Vögel zogen lautlos über die Schreitenden dahin; zuweilen stiegen sie in Schwärmen irgendwo auf und stießen dann häßliche kurze Schreie aus. Zuweilen kam auch ein Hauch wie aus modrigen Kellern, und alle stockten und legten die Hand aufs Herz.
    Doch schritten sie unablässig fürbaß, einem Ziele zu, das keiner dem anderen verriet, nach dem sie sich aber, großäugig und erschöpft, schmerzlich zu sehnen schienen. Der Schmerz strahlte gleichsam von diesen Gesichtern und machte sie zu verzerrten Masken,

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