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Seidendrachen

Seidendrachen

Titel: Seidendrachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Grayson
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getan haben. Schließlich haben sie mich als Findelkind großgezogen.“ Das also hatte man ihm erzählt. Er überlegte kurz. „Ich hoffe, sie werden nicht böse sein, dass ich mich nicht dem Orden geweiht habe.“
    Simon lächelte. „Nein, natürlich nicht. Jeder muss seiner Bestimmung folgen. Am Hofe des Königs stehen dir in Zukunft bestimmt viele Türen offen.“
    „Hm“, machte Jarin nur.
    „Du siehst mir nicht gerade glücklich aus“, bemerkte Simon.
    „Ich wüsste selbst gerne, was Glück bedeutet“, murmelte Jarin.
    „Das, was dein Herz erfüllt.“
    „Ungeachtet dessen, was andere dazu sagen?“
    „Der Einzige, auf den du hören solltest, ist Gott.“
    „Und wenn er nicht mit meinem Tun einverstanden ist?“
    „Dann begehst du eine Sünde. Doch Gott verzeiht, wenn du bereust, denn er liebt jedes seiner Kinder.“
    Und ich liebe auch eines seiner Kinder, ergänzte Jarin in Gedanken. Wirklich nur eines?
    „Gibt es etwas, das dich bedrückt?“, fragte Simon jetzt.
    Jarin schüttelte den Kopf. „Nein, ich fühle mich sehr wohl hier und ich hoffe, dass ich alle meine Aufgaben meistern werde.“ „Das wirst du, davon bin ich überzeugt.
    Ich hätte übrigens auch noch eine Aufgabe für dich“, ergriff Simon die Gelegenheit.
    „Welche?“
    „Der Prior und ich würden es gerne sehen, wenn du Akio bei der Arbeit assistierst. Schreib auf, was er tut und wie er es tut. Besonders, was die Rezeptur der Farben angeht.“
    Eine Alarmglocke schrillte in Jarins Innerem. Konnte es sein, dass man ihn nun in gleicher Weise benutzen wollte wie seinen Schützling? Normalerweise hätte nichts dagegen gesprochen, denn er sollte auf Akio aufpassen, gerade wenn dieser seine Arbeit tat. Nur des Nachts standen bewaffnete Wachen aus de Verviers Garde vor dessen Tür. Schließlich musste auch Jarin einmal schlafen! Und doch… wieso hatte er so ein mulmiges Gefühl bei der Bitte des Paters?
    Seine Glaubensvorstellung war in den letzten Monaten zu stark erschüttert worden. Er war nicht mehr der kleine Junge, dem man mit der Androhung von Hölle und Verdammnis einen Schrecken einjagen konnte, wenn er nicht das tat, was man von ihm erwartete. Jarin war erwachsen geworden und er wusste, dass er nicht einmal so fühlte, wie die Menschen oder vielleicht sogar Gott es von ihm erwarteten. Und, dass er darüber noch nicht einmal sprechen konnte.
    „Ich werde sehen, was ich tun kann“, versprach Jarin. Simon musste sich wohl oder übel mit dieser vagen Andeutung zufrieden geben. Er wollte nicht weiter in den ehemaligen Klosterzögling dringen, um dessen Misstrauen nicht zu schüren. So kehrte er mit leeren Händen in sein Kloster zurück.
     
    *
     
    Das Atelier stand am nächsten Morgen voller Tiegel, Mörser und den Stoffen, die Pater Simon aus China mitgebracht hatte. Dazu kleine Säckchen voller getrockneter Blüten, die immer noch dufteten. Andere enthielten geriebene Pulver, Pflanzensamen und Rindenstückchen. Der König hatte befohlen, dass Akio alles bekommen sollte, was er für seine Arbeit brauchte.
    Über einen großen Holzrahmen am Fenster war ein Teil der schimmernden Rohseide aufgespannt wie eine Tierhaut, fest und doch so vorsichtig, dass das feine Gewebe nicht beschädigt wurde. Es glich nunmehr der faltenfreien Leinwand eines Malers. Das goldene Licht glitt durch diese hindurch und tauchte den Raum in einen magischen Schimmer. Schon seit dem Sonnenaufgang war Akio hier tätig. Immer wieder prüfte er die Konsistenz der Mixturen, die er mit den verschiedenen Elementen herstellte. Er arbeitete schweigend, ganz in sein Tun vertieft. Nur beobachtet von Jarin, der sich still in eine Ecke zurückgezogen hatte, um nicht im Weg zu stehen. Im Palast selbst war es heute ungewohnt still.
    Draußen dagegen versammelten sich die Menschen, um dem Beginn des Turniers zuzuschauen. Hier drinnen in der Ruhe – in Akios Gegenwart - waren Jarins ursprüngliche Pläne plötzlich vergessen. Die laute Welt da draußen interessierte ihn nicht mehr. Hier waren das Klirren der Schwerter, das Wiehern der Pferde und der Jubel der Menge so weit weg, als käme es von einem anderen Planeten. Die Welt der irdischen Helden hatte hier drin keinen Platz.
    Es war ihm ein Rätsel, wie dieser zarte Junge aus dem fernen Orient mit solch wissenschaftlicher Präzision seine Vorbereitungen traf. Wie sollte er – Jarin - all die tausend kleinen Handgriffe notieren oder sich überhaupt merken können? Dafür prägte er sich jede der anmutigen

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