Seidendrachen
nicht seine Absicht. Andererseits würde er natürlich seinem Vater das letzte Geleit geben, trotz seiner Verachtung für diesen alten, sturen Dickkopf. Vielleicht war es ganz gut so, dass er den Palast für eine Weile verließ. Obwohl es nicht seine Art war, das Feld kampflos zu räumen, was Jarin anging. Er folgte dem Gebot der Trauer und ritt nach langen Jahren wieder nach Hause, um der Bestattung seines Vaters beizuwohnen.
Danach galt, es die geschäftlichen Dinge zu regeln und den Pächtern einen Besuch abzustatten. Der Landbesitz war nicht sehr groß, doch er ernährte seine Besitzer schon seit etlichen Jahren. Nicolas ältliche Tante bat ihn eines Abends um eine Unterredung.
„Du musst heiraten, Nicolas“, warf sie ihm vor, als sie im Salon saßen. „Jawohl, heiraten und einen Erben zeugen. Solch ein Gut braucht einen Erben. Dein Vater wusste das und hat mich damit beauftragt, sein Erbe bis zu deiner Hochzeit in meine Obhut zu nehmen. Du solltest dich also beeilen, denn ich werde nicht ewig leben.“
Nicolas de Vervier verdrehte die Augen. Eine Predigt dieser Art hatte ihm gerade noch gefehlt. Danach stand ihm nun wirklich nicht der Sinn. Das Gut bedeutete ihm nichts mehr. Doch er konnte seiner armen Tante keinen Schreck einjagen und ihr beichten, dass er Frauen zwar achtete und schätzte, jedoch nicht sein Bett mit ihnen teilen wollte, nicht einmal um einen Erben zu zeugen. Marie-Louise wäre auf der Stelle tot umgefallen.
Bei diesem Gedanken musste er unwillkürlich schmunzeln, was die adelige Dame völlig falsch auffasste. „Deinem Gesicht nach zu schließen hast du wohl schon jemanden im Auge, mein Junge? Kein Wunder, am Hofe des Königs gibt es bestimmt eine Menge hübscher Damen!“, lächelte sie vielsagend.
Oh Gott, bloß das nicht! Obwohl sie mit der Bemerkung gar nicht so falsch lag.
„Ja, ma chère Tante. Allerdings konnte ich … dieses Herz noch nicht für mich gewinnen“, versuchte er, sich herauszuwinden. Marie-Louise war zufrieden. Immerhin ein Anfang! Trotzdem musste Nicolas unbedingt ein anderes Gesprächsthema finden! „Hast du eigentlich noch einmal etwas von Mutter gehört?“, fragte er unvermittelt.
Die alte Dame griff nach ihrem Fächer und schien nachzudenken. „Ja, vor einigen Jahren hieß es, sie würde allein in einer Hütte wohnen am Fuße der Ardennen. Allerdings habe ich vergessen, wie der Ort hieß. Er muss furchtbar unbedeutend sein. Außerdem werde ich langsam alt, Nicolas. Bald wirst du meine eigene Beerdigung arrangieren müssen.“ Sie seufzte theatralisch.
Nicolas fiel bei diesen Worten ein, dass seine Mutter aus Sedan kam, ein Ort in den Ardennen. Was lag näher, als in ihre Heimat zurückzukehren, als Vater sie davon jagte? Ich werde sie suchen, aber Tante Marie darf nichts davon ahnen!
„Ach, Tante Marie, du wirst bestimmt noch hundert Jahre alt“, versuchte Nicolas zu scherzen und goss sich ein Glas Wein ein. „Schade, ich hätte damals gerne versucht, sie zu finden, aber Vater hätte es niemals erlaubt. Bei der Armee kam immer irgendwas dazwischen. So ist das eben im Dienste des Königs“, sagte er dann nachdenklich.
Seine Gedanken wanderten wieder zurück nach Paris zu dem hübschen, blonden Jungen, der ihm so knapp entkommen war. Dabei hatte er deutlich gespürt, dass er kurz davor gewesen war, sich in seine Hände zu ergeben. Und dann war da dieser exotische Akio aufgetaucht, der einen Sonderstatus unter den Künstlern bei Hofe einnahm und gehätschelt wurde wie ein Schoßhund. Er hatte ihm Jarin gestohlen! Dieses Wissen saß wie ein Giftpfeil in seinem Herzen.
Es blieb eine kleine Weile still. „Wahrscheinlich wird sie immer noch Kräuter brauen und Medizin an Bettler und Krüppel verteilen“, sagte Marie-Louise jetzt verächtlich.
„Dieses dumme Ding. Bringt lieber die Bälger von Tagelöhnern auf die Welt als sich um die eigene Familie zu kümmern! Dabei hat mein Bruder sie auf Händen getragen, Gott hab ihn selig.“ Aber n u r solange sie das t a t, w a s er wol l te , dachte Nicolas und biss sich auf die Zunge, um nicht zu widersprechen. Seine Tante konnte genauso stur sein wie sein Vater.
„Ich werde nicht hierbleiben, Tante Marie“, verkündete er jetzt mit fester Stimme. „Mein Platz ist bei Hofe. Ich werde die Geschäfte weiterhin unserem Verwalter Jean überlassen. Bitte versteh!“
Seine Tante nickte. „Aber wenn du zurückkommst, schenkst du diesem Chateau einen Erben, nicht wahr?“, lächelte sie dann in Gedanken
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