Seidene Küsse
Bein benetzte.
Gegen Mittag beim späten Frühstück, allein mit Michael, wollte er wissen: »Wie hat es dir gefallen?«
»Das hätte ich nie gedacht … Dass es mir gefällt.« Sie biss von ihrer belegten Weißbrotscheibe ab.
»Du warst so toll. Willst du es wieder machen?«
»Ja. Aber nur mit David und dir.« Manuela belegte ein neues Brötchen und sagte wie nebenbei: »Er kommt nächsten Samstag zu uns.« Sie blickte Michael an.
Er wirkte, als hätte ihn ein Brauereipferd getreten.
Der Tourist
Diese Musik! Patrizia kannte den Text genau. Es musste Jahrzehnte her sein, dass sie dieses Lied gehört hatte, aber es war ihr noch so geläufig, als wäre es gerade heute Morgen beim Duschen im Radio gelaufen.
Sapore di sale, sapore di mare
sang sie leise mit, während sie die Atmosphäre des eleganten, aber keinesfalls kühlen Restau-rants aufnahm.
Zäh wie Grießbrei floss die ausgelassen schwatzende Gesellschaft derweilen in das Lokal. Seit der Eröffnung vor ein paar Wochen hatte Patrizia aus verschiedenen Richtungen so viel Gutes über das neue Restaurant gehört, dass es ihr der geeigneteste Ort erschien, um mit der Verwandtschaft die Volljährigkeit ihrer einzigen Tochter zu feiern. Alle Vorbehalte des maulenden Teenagers hatte Patrizia mit Hinweisen auf die lohnenden Geschenke ausräumen können, die Großeltern, Tanten und Patenonkel sonst nicht so locker springen lassen würden. Dieses Fest sollte ihrer Tochter für immer unvergessen bleiben.
Gott sei Dank hatte der neue Italiener so überhaupt nichts Folkloristisches. Hier gab es keine kitschigen Landschaftsgemälde oder den üblichen Souvenir-Nippes, dafür zierten geschmackvolle Terrakottatöpfchen mit Basilikum, Thymian und Rosmarin die Echtholztische mit den gestärkten weißen Tischdecken. Die Speisekarten fanden sich handgeschrieben auf großen Schiefertafeln. Lediglich eine Wand war gepflastert mit unterschiedlichen antiken Rahmen, die Fotos enthielten, was dem Lokal die Aura verlieh, immer schon da gewesen zu sein.
Neugierig trat Patrizia näher heran und betrachtete die Schwarzweißbilder, die teilweise schon umbrafarben verblichen und voller Knicke und Kratzer waren. Etliche Generationen von Gastronomen. Der trotzige Blick eines ungefähr fünfzehnjährigen Jungen fuhr ihr durch Mark und Bein. Dieser Junge, der sich inmitten einer Gruppe von Erwachsenen in weißen Kochschürzen sichtlich unbehaglich fühlte, kam ihr seltsam vertraut vor.
»Ancora tu«,
formten Patrizias Lippen von allein den Titel des nächsten Liedes, dessen Melodie sich aus den Lautsprechern ergoss.
Du schon wieder,
hatte sie noch übersetzt, und dann hatten sich die Bilder vor ihren Augen mit tief vergrabenen Bildern aus ihrem Langzeitgedächtnis vermischt…
»Ente-schuldigung. Ich suche Markt, Ficketu-Alien Markt. Kannst du helfen mir?«, sprach sie jemand in derart stümperhaftem Deutsch an, dass Patrizia lächeln und ihn fragen musste, woher er kam.
Erst als er antwortete: »Aus Italien«, machte sich Patrizia, die aus bloßer Hilfsbereitschaft stehen geblieben war, die Mühe, ihr Gegenüber zu betrachten.
Wow! In Sekundenbruchteilen vermerkte ihr
Terminator-Scanner:
lässige, sommerliche Leinenkleidung, doch mit einer den Italienern angeborenen Eleganz, wie sie durch Marcello Mastroianni in aller Welt bekannt wurde. Superschuhe, natürlich. Aber der Typ, der drin steckte, war eher ein Alain-Delon-Typ, schwarz gelockt und blauäugig. Er hatte eine schmale, fast zierliche Statur, aber eine so coole, männliche Ausstrahlung, dass sie sich sofort hundert Prozent weiblicher fühlte.
Dieser blöde Witz schoss ihr durch den Kopf: »Liebling, wie heißt noch gleich dieses französische Zeug, auf das du so scharf bist? Alain Delon.«
»Sind Sie zu Fuß?«, fragte sie auf Italienisch, glücklich, ihre Abendschul-Kenntnisse endlich einmal anwenden zu können.
»Nein, mein Auto steht da«, antwortete er, auf einen gepflegten, aber alten Mercedes zeigend – ein chromglänzendes Schiff, das Tonnen wog und Unmengen Benzin schluckte.
Auch lässig, dachte Patrizia und strengte sich an, ihm in ihrem rudimentären Freizeit-Italienisch den ziemlich komplizierten Weg zu erklären. Der Italiener gab sich interessiert, nickte bisweilen sogar, als hätte er verstanden, aber für jeden Passanten war deutlich sichtbar, dass sein einziges Interesse Patrizias Erscheinung galt. Er wartete nicht mal, bis sie ihre Ausführungen beendet hatte, um zu bemerken: »Du sprichst wirklich gut
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