Seidene Küsse
Italienisch.«
Patrizia lächelte verschämt.
»Geht so.«
»Nein, nein, ganz ehrlich. Wie heißt du?«
Ohne Zögern nannte ihm Patrizia ihren Namen, was normalerweise gar nicht ihre Art war.
»Ich bin Antonio. Freut mich.«
Sein Gesichtsausdruck war so verbindlich, dass Patrizia die Hand nahm, die er ihr entgegenstreckte, und seinen Gruß höflich erwiderte. Es war Jahre her, dass sie sich von einem Mann auf der Straße hatte ansprechen lassen, ohne etwas Abweisendes zu murmeln und sich rasch abzuwenden. Unter anderem wegen Olaf. Aber schon seit ihrem ersten Riccione-Urlaub als Fünfjährige liebte Patrizia die expressive Art der Italiener, was zu dem Entschluss geführt hatte, die Sprache zu lernen, obwohl es ziemlich idiotisch war, etwas zu lernen, das man nur in einem einzigen Land der Erde gebrauchen konnte. Reine, rational nicht erklärbare Leidenschaft hatte sie also in diese Abendkurse getrieben, und als dieser Antonio mit ausladenden Bewegungen auf sie einredete: »Patrizia. Warum kommst du nicht mit und zeigst mir den Weg? Schau, ich bin ganz allein und fände es wunderschön, wenn du mit mir zusammen zum Viktualienmarkt gingest«, sprang schon ein Funke mediterra-nen Lebensgefühls auf sie über.
Ihr Verlobter, Olaf, war bis zum Wochenende auf Geschäftsreise, und sie dachte: »Warum eigentlich nicht?«, sagte aber: »Nein danke, ich habe noch was zu erledigen« und trat einen Schritt zurück. Klar, dass jemand wie dieser Antonio ihren laschen Widerstand nicht zuließ.
»Patrizia.«
Es gefiel ihr, wie ungewohnt und bedeutungsvoll er jede Silbe ihres Namens aussprach.
»Es ist noch so früh. Du kommst jetzt mit mir, und dann fahre ich dich, wohin du willst. Versprochen«, sagte er mit einem entwaffnenden Lächeln.
Tja, was war dagegen noch einzuwenden?
Ehrlich gesagt waren es ja nicht seine verbalen Argumente, die Patrizia veranlassten, zu dem fremden Touristen ins Auto zu steigen.
Einmal am Kassettenrecorder gedreht, und die raue, sehnsuchtsvolle, herrlich schnulzige Stimme eines italienischen Schlagerbarden beförderte Patrizia in eine Strandbar an der Ri-viera:
Una favola d’estate
– ein Sommermärchen.
Sie bemerkte sehr wohl – und es schmeichelte ihr –, dass Antonio sie bei jeder Anweisung, die sie ihm gab, kurz musterte.
Überall auf den Fußmatten des Wagens waren Musikkassetten verstreut. Instinktiv nahm Patrizia jede einzeln hoch, versuchte, laut die italienischen Titel zu lesen und sie irgendwo in den Fächern und auf den Ablagen des Mercedes unterzubringen, als sich eine Hand auf ihr nacktes, braun gebranntes Knie legte. Sie zuckte zusammen. Nicht, weil es ihr unangenehm war. Die Berührung kam einfach so überraschend. Sie ließ es geschehen, obwohl sie sich durchaus darüber wunderte, dass sie hier in diesem Auto saß, diesem Fremden so bedingungslos vertraute und ihn nur scheu anlächelte, anstatt ihm eine runterzuhauen. Er hätte sie jetzt auch mühelos nach Sizilien verschleppen und irgendwohin verschiffen können.
»Entschuldige«, meinte Antonio mit gespielt schuldbewusster Miene.
»Alles in Ordnung«, hörte sich Patrizia antworten, und so nahm Antonio seine Hand nur noch zum Schalten weg, Patri-zias Knie einer merkwürdigen Kneippkur unterziehend, bis sie am Viktualienmarkt einen Parkplatz fanden.
Ihr war nicht nach Konversation. In exakt einer Woche würde sie mit Olaf, ihrer Jugendliebe, vor den Traualtar treten; aber sie konnte sich nicht daran erinnern, sich so unbeschreiblich weiblich gefühlt zu haben wie hier und jetzt neben diesem Alain Delon aus Verona. Antonios Präsenz reichte aus, und so ließ sie ihn dozieren, während sie an seiner Seite gemächlich über den Delikatessenmarkt schlenderte. Wie bei den meisten Einheimischen üblich, nahm Patrizia die Schönheiten ihrer Stadt als selbstverständlich und darum viel zu selten bewusst wahr. Der Chor der Marktschreier, die sich gegenseitig zu übertönen suchten, schwoll an, wurde zunehmend lauter, Kisten mit allerlei zappelnden, nach Luft schnappenden Fischen, Eimer voller Krabbelkrebse und den seltsamsten Muschelgebilden stapelten sich vor Patrizias Augen, vom Hafen dröhnte eine Schiffshupe … halt mal, vom Hafen? Huch, da war sie doch mal eben nach Neapel abgedriftet. Sie schüttelte ihre Tagträume ab wie ein nasser Hund und erfreute sich daran, dass sie dieser geradezu karibische Farbenrausch der Blumen- und Obststände so fröhlich stimmte, die anregenden Düfte aus den unterschiedlichsten
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