Seidene Küsse
mit Rosenblütenöl eingerieben hatte, lackierte Iris noch sorgfältig ihre Fuß- und Fingernägel blutrot.
Dann baute sie das Bügelbrett vor dem Fernseher auf und bügelte einen Riesen-Wäscheberg weg, während sie sich vom idioti schen Tages pro gramm berie seln ließ. Als sie fertig war, zog sie an, was sie schon seit Tagen für diesen Abend zusammen gestellt hatte.
Äußerlich ließ sie sich alle Zeit der Welt, innerlich bebte sie vor Aufregung. Als wüsste sie jetzt schon, dass dieser Tag die kostbarste Erinnerung ihres Lebens sein würde, die sie sekundenweise auskosten musste. Wenn dieser Tag ein
Murmeltier-Tag
wäre, das wäre nicht schlecht.
Scheinbar desinteressiert schlenderte Iris zu ihrem Wagen und sah durch das Beifahrerfenster.
Auf dem Sitz lag ein gefaltetes Stück Papier.
Ihr Herz pochte bis zum Gaumen, als Iris die Autotür auf-schloss. Instinktiv sah sie sich nach rechts und links um, als wolle sie etwas Verbotenes tun.
Irgendwie kam es ihr vor, als sei Alan ständig in ihrer Nähe, als beobachte er sie jetzt gerade dabei, wie sie den Zettel in die Hand nahm und ihn entfaltete.
»Hotel Carlton, Zimmer 206, 18:00« las sie und wurde fast ohn mächtig vor Erregung.
Noch eine Stunde, die sie dazu nutzte, in einem Cafe ihre Empfindungen zu Papier zu bringen. Unmöglich konnte sie jetzt nach Hause zurück.
Iris sah sich nicht in der Lage dazu, Auto zu fahren, geschweige denn nach einem Parkplatz zu suchen, als es soweit war. Im Taxi konnte sie sich aufmerksam jedes Haus, jedes Geschäft, jede Schaufensterauslage, jedes Cafe, jedes Werbeschild auf dem Weg zu diesem Hotel einprägen. Was Iris an ihrer Stadt besonders mochte, waren die kurzen Wege: Es war eine Großstadt mit ei nem über wälti gen den Kultur-, Lokal- und Freizeitangebot, aber nichts war wirklich weit entfernt und somit schnell erreichbar.
Dieses Hotel war schon immer da gewesen, dort in der Seitenstraße in der Nähe des Hauptbahnhofs. Das wusste Iris. Aber es war ihr nie aufgefallen. Wer achtete schon auf Hotels in seiner eigenen Stadt?
Iris nannte dem Portier die Zimmernummer, und er händigte ihr verschwörerisch lächelnd den Schlüssel und eine Nachricht in einem Umschlag aus. Anmutig stöckelte Iris die Treppe zum zweiten Stock empor.
Sie wunderte sich darüber, dass sie den Schlüssel erhalten hatte. Als sie den dunkl en Raum betrat, wusste sie, warum. Alan war nicht da.
Aber auf dem Bett lag ein alter Koffer. Iris versuchte sofort, ihn zu öffnen, doch er war fest verschlossen.
Zitternd setzte sich Iris auf das übergroße Doppelbett, knipste die Nachttischlampe an, öffnete den Briefumschlag und las: »Verschließe die Zimmertür nicht. Lass den Koffer, wo er ist. Sieh in die Nachttischschublade, nimm das Tuch heraus und verbinde dir damit fest die Augen.« Nichts weiter. Iris war irritiert.
Jetzt erst konnte sie das Zimmer aufnehmen: Alles war weiß. Die modernen Designer-Möbel, das hohe Bett mit der riesigen weißen Überdecke, weiße Vorhänge.
Ein
Honeymoon-Zimmer,
dachte Iris.
Sie holte das gefaltete Seidentuch aus der Schublade, nahm es mit zum Fenster und legte es aufs Fensterbrett. Dann blickte sie hinunter auf die Straße, doch Alan hatte das Zimmer so gewählt, dass sie den Hoteleingang nicht einsehen konnte. Iris fühlte sich danach, im Lichtkegel zu bleiben.
Genau gegenüber dem Eingang lag das Fenster, vor dem sie sich jetzt positionierte – mit dem Rücken zur Tür, die Augen fest geschlossen. Nun war Iris allein auf ihr Gehör angewiesen. Sie konnte die Zeit nicht mehr einschätzen. Sekunden zählen half nicht. Die Straßengeräusche auch nicht. Sätze wie »Ich bin vollkommen verrückt« schossen ihr durch den Kopf.
Was, wenn er nicht kommt? Was, wenn er jemand anderen schickt? Was, wenn er wie bei
96 Wochen
nicht allein, sondern mit einer anderen Frau kommt?
Und während Iris noch ihren Gedanken nachhing, hörte sie hinter sich die Zimmertür aufgehen. Die Luft anhaltend und sich kei nen Mil li me ter bewegend, lauschte sie angestrengt, um nur ja nichts zu verpassen.
Iris hatte sich sorgfältig ein strenges, aber figurbetontes Kostüm ausgesucht, unter dem sie den zartesten und kostbarsten cremefarbenen Seiden-BH trug. Ihre hauchdünnen champagnerfarbenen Seidenstrümpfe wurden von seidenen Strapsen gehalten, die Iris das Gefühl gaben, jedem, der sie zu nehmen versuchte, hilflos ausgeliefert zu sein, da sie kein Höschen davor schützte. Die seriös geschnittenen, aber endlos hochhackigen
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