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Seidenfächer

Titel: Seidenfächer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L See
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wettmachte, dass die acht Zeichen der Mädchen nicht vollkommen übereinstimmten.
    Schneerose konnte wirklich froh sein, dass sie Frühlingsmond hatte, denn sonst hätte sie den ganzen Tag mit ihrer Schwiegermutter verbringen müssen. Ich will nur so viel sagen: Diese Frau war immer noch so bissig und gehässig, wie ich sie in Erinnerung hatte. Ständig wiederholte sie: »Dein ältester
Sohn ist nicht besser als ein Mädchen. Er ist ein Schwächling. Glaubst du denn, er wird je die Kraft haben, ein Schwein zu schlachten?« Ich dachte etwas, das Dame Lu gar nicht anstand: Warum hatten die Geister sie bei der Epidemie bloß nicht mitgenommen?
    Unser Abendessen rief Erinnerungen an die Zeit meiner Kindheit wach, bevor die ersten Brautgeschenke ankamen – es gab eingemachte lange Bohnen, Schweinefüße in Chilisauce, im Wok gebratene Kürbisscheibchen und roten Reis. In Jintian gab es immer das Gleiche zu essen, das heißt, es kam jedes Mal etwas vom Schwein auf den Tisch. Schweinefett in schwarzen Bohnen, Schweineohren im Tontopf, flammende Schweineinnereien, Schweinepenis gebraten mit Knoblauch und Chili. Schneerose aß nichts davon, sie hielt sich schweigend an ihr Gemüse mit Reis.
    Nach dem Essen zog sich ihre Schwiegermutter zum Schlafen zurück. Obwohl zwei Weggefährtinnen sich bei Besuchen traditionell ein Bett teilen – der Ehemann müsste also woanders schlafen -, verkündete der Metzger, dass er nicht gedenke umzuziehen. Seine Begründung? »Nichts ist so böse wie das Herz einer Frau.« Das war eine alte Redensart und wahrscheinlich sogar zutreffend, aber es gehörte sich nicht, das zur Dame Lu zu sagen. Nichtsdestotrotz war es sein Haus, und wir mussten tun, was er sagte.
    Schneerose brachte mich wieder nach oben ins Frauengemach, wo sie mir mit ein paar ihrer sauberen, wenn auch abgenutzten Decken aus ihrer Aussteuer ein Bett bereitete. Auf die Kommode stellte sie eine flache Schüssel mit warmem Wasser, damit ich mir das Gesicht waschen konnte. Ach, wie gerne hätte ich ein Tuch in dieses Wasser getaucht und die Sorgen weggewischt, die sich auf dem Gesicht meiner laotong zeigten. Während mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, legte sie mir ein Gewand hin, das beinahe identisch mit ihrem war – beinahe
, denn ich erinnerte mich, dass sie es aus einem der schönen Stücke aus der Aussteuer ihrer Mutter zusammengenäht hatte. Schneerose beugte sich vor, küsste mich auf die Wange und flüsterte mir ins Ohr: »Morgen haben wir den ganzen Tag zusammen. Ich zeige dir, was ich gestickt habe und was ich mit unserem Fächer gemacht habe. Wir werden reden und an früher denken.« Damit ließ sie mich allein.
    Ich blies die Laterne aus und legte mich unter die Decken. Der Mond war beinahe voll, und das blaue Licht, das durch das Gitterfenster fiel, trug mich viele Jahre zurück. Ich vergrub das Gesicht in dem Stoff, der noch so frisch und zart nach Schneerose duftete wie damals in unseren Tagen des Haarehochsteckens. Die Erinnerung an ein leises Stöhnen der Lust erfüllte meine Ohren. So allein in diesem dunklen Zimmer errötete ich wegen Dingen, die vielleicht am besten vergessen wären. Doch die Geräusche gingen nicht weg. Ich setzte mich auf. Das kam nicht aus meinem Kopf, sondern von unten aus Schneeroses Zimmer. Meine laotong und ihr Mann beim Liebesspiel! Meine laotong war wohl Vegetarierin geworden, aber die Ehefrau Wang aus der Geschichte war sie nicht. Ich hielt mir die Ohren zu und versuchte einzuschlafen, aber es fiel mir schwer. Mein Glück im Leben hatte mich ungeduldig und intolerant gemacht. Die verunreinigte und verunreinigende Aura dieses Ortes und der Menschen, die hier wohnten, schabte an meinen Sinnen, meinem Fleisch, meiner Seele.
    Am nächsten Morgen brach der Metzger auf, um sein Tagwerk zu verrichten, und seine Mutter ging wieder in ihr Zimmer. Ich half Schneerose dabei abzuwaschen und abzutrocknen, Brennholz zu holen, Wasser zu holen, das Gemüse für das Mittagessen zu schneiden, ich ging mit ihr zum Fleischholen in den Schuppen, wo die Schweinehälften hingen, und ich kümmerte mich um ihre Tochter. Als wir mit allem fertig waren, setzte Schneerose Wasser auf, das wir für ein Bad benutzen
konnten. Sie trug den Kessel hinauf ins Frauengemach und schloss die Tür. Wir hatten nie irgendwelche Hemmungen voreinander gehabt. Warum also jetzt? Die Luft in diesem kleinen Haus war überraschend warm, obwohl wir den zehnten Monat hatten, und dennoch bekam ich von Schneeroses feuchtem Tuch

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