Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Seidenfächer

Titel: Seidenfächer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L See
Vom Netzwerk:
die Schönen zu den Schönen und die Klugen zu den Klugen. Aber anders als die Ehe sollte diese Beziehung ausschließlich sein. Hier« – an dieser Stelle gestattete sie sich ein kleines Lachen – »sind Konkubinen nicht erlaubt. Ihr versteht, was ich sagen will, Mädchen? Das ist eine Verbindung von zwei Herzen, die nicht durch Entfernung, Meinungsverschiedenheiten, Einsamkeit, eine bessere Heirat oder andere Mädchen – und später Frauen -, die zwischen euch treten, zerrissen werden kann.«
    Wir tippelten unsere zehn Schritte zurück zur Sänfte. So viele Monate hatte mir das Laufen höllische Schmerzen bereitet,
doch in diesem Moment fühlte ich mich wie Yao Niang, die erste Frau mit kleinen Füßen. Als diese legendäre Gestalt auf einer goldenen Lotosblüte tanzte, sah es aus, als würde sie auf einer Wolke schweben. Jeder meiner Schritte war getragen von Glückseligkeit.
    Die Träger brachten uns ins Zentrum des Fests. Diesmal befanden wir uns mitten auf dem Marktplatz, als wir ausstiegen. Auf einer leichten Erhebung sah ich die roten Mauern, die vergoldeten Schnitzereien und das grüne Schindeldach des Tempels. Frau Wang steckte jeder von uns eine Käsch-Münze zu, mit der wir Geschenke kaufen sollten, um den Tag zu feiern. Ich hatte ja noch nie Gelegenheit gehabt, für mich selbst eine Entscheidung zu treffen, und erst recht noch nie die Verantwortung dafür getragen, Geld auszugeben. In der einen Hand hielt ich die Münze, mit der anderen Schneeroses Hand. Ich überlegte angestrengt, was dieses Mädchen neben mir sich wünschen könnte, aber bei all den wundervollen Sachen um mich herum wurde mir ganz schwindelig.
    Glücklicherweise übernahm Schneerose wieder das Kommando. »Ich weiß was!«, rief sie. Sie machte ein paar schnelle Schritte, als wolle sie losrennen, blieb aber gleich wieder holpernd stehen. »Manchmal vergesse ich noch meine Füße«, sagte sie, und der Schmerz stand ihr ins Gesicht geschrieben.
    Meine Füße waren wohl etwas schneller geheilt als ihre, und ich war ein klein wenig enttäuscht, dass wir nicht so viel erkunden konnten, wie wir – ich – es gerne getan hätten.
    »Wir gehen einfach langsamer«, sagte ich. »Wir müssen ja nicht gleich alles sehen …«
    »Weil wir für den Rest unseres Lebens jedes Jahr herkommen werden«, beendete Schneerose den Satz für mich und drückte meine Hand.
    Was für einen Anblick wir geboten haben müssen – zwei Weggefährtinnen auf ihrem ersten Ausflug, die versuchten, in
Erinnerung an das, was einmal ihre Füße gewesen waren, zu laufen, wobei nur ihr Hochgefühl sie vor dem Hinfallen bewahrte, und eine auffällig gekleidete ältere Frau, die ihnen zurief: »Hört auf, euch so schlecht zu benehmen, oder wir fahren sofort nach Hause!« Glücklicherweise hatten wir nicht weit zu gehen. Schneerose zog mich in einen Stand, in dem es Stickwaren gab.
    »Wir sind zwei Mädchen in den Tochtertagen«, sagte Schneerose, während sie den Blick über das Garn in allen Regenbogenfarben wandern ließ. »Bis wir einmal heiraten, verbringen wir unsere Zeit im Frauengemach, wir besuchen uns gegenseitig, sticken zusammen, flüstern zusammen. Wenn wir klug einkaufen, können wir jahrelang an Erinnerungsstücken arbeiten.«
    Am Stickereistand waren wir uns gleich einig. Uns gefielen die gleichen Farben, doch wir wählten auch ein paar aus, die nicht unser Herz ansprachen, sich aber dennoch eignen würden, um das Detail eines Blattes oder den Schatten einer Blume darzustellen. Wir zahlten mit unseren Käsch-Münzen und gingen mit dem, was wir erstanden hatten, zurück zur Sänfte. Sobald wir wieder drinnen saßen, fing Schneerose an zu betteln: »Liebste Tante, bitte geht mit uns zum Taromann. Bitte, liebste Tante, bitte!« Als ich merkte, dass Schneerose diesen Ehrentitel benutzte, um Frau Wangs strenges Herz zu erweichen, ließ ich mich von der Kühnheit meiner laotong anspornen und fiel mit ein. »Bitte, liebste Tante, bitte!« Ehrenwerte Frau Wang konnte nicht Nein sagen, mit einem Mädchen auf jeder Seite, das sie am Ärmel zog und bettelte, wie es sonst nur einem erstgeborenen Sohn zukam.
    Schließlich gab sie nach, warnte uns aber gleichzeitig, dass so etwas nicht wieder vorkommen dürfe. »Ich bin nur eine arme Witwe, und wenn ich mein Geld für zwei nutzlose Äste ausgebe, wird das meinem Ansehen im Landkreis schaden. Wollt ihr
mich in die Armut schicken? Wollt ihr, dass ich allein sterbe?« Sie sagte das auf ihre übliche schroffe Art, doch als wir

Weitere Kostenlose Bücher