Seidenfächer
bei dem Stand ankamen, war schon alles für uns vorbereitet. Ein kurzer Tisch war gedeckt, und drei kleine Fässer als Hocker standen bereit.
Der Eigentümer brachte ein lebendes Huhn herbei und hielt es hoch. »Ich suche immer das Beste für Euch aus, Ehrenwerte Frau Wang«, sagte der Alte Zuo. Ein paar Minuten später kam er mit einem speziellen Topf wieder, der von Kohlen in einem darunter liegenden Behälter geheizt wurde. Brühe, Ingwer, Lauchzwiebeln und das aufgeschnittene Huhn, das wir noch wenige Augenblicke zuvor gesehen hatten, brodelten in dem Topf. Eine Sauce zum Tunken aus klein geschnittenem Ingwer, Knoblauch, Lauchzwiebeln und scharfem Öl wurde ebenfalls auf den Tisch gestellt. Ein Teller mit frischen Erbsensprossen, die mit ganzen Knoblauchzehen angebraten worden waren, rundete die Mahlzeit ab. Wir aßen mit Genuss, fischten uns das köstliche Hühnerfleisch mit unseren Essstäbchen heraus, kauten munter und spuckten die Knochen auf den Boden. Doch so wunderbar dies alles schmeckte, ich ließ noch Platz für das Tarogericht, von dem Schneerose vorhin erzählt hatte. Alles, was sie darüber gesagt hatte, traf zu – wie der heiße Zucker knackte, wenn er in das Wasser getaucht wurde, das unwiderstehliche Knuspern und der weiche Kern, der auf der Zunge zerging.
Wie zu Hause nahm ich die Teekanne und schenkte uns dreien ein. Als ich die Kanne wieder absetzte, hörte ich Schneerose missbilligend einatmen. Ich hatte wieder etwas falsch gemacht, aber ich wusste nicht, was. Sie nahm meine Hand und führte sie zur Teekanne. Zusammen drehten wir sie so, dass die Schnauze nicht mehr auf Ehrenwerte Frau Wang zeigte.
»Es ist unhöflich, die Schnauze auf jemanden zu richten«, sagte Schneerose sanft.
Ich hätte mich schämen müssen. Stattdessen empfand ich nur Bewunderung für die Erziehung meiner laotong .
Die Träger schliefen unter den Stangen der Sänfte, als wir zurückkamen, aber sie wachten gleich auf, als Frau Wang in die Hände klatschte und sie rief. Bald waren wir wieder auf dem Heimweg. Auf der Rückreise durften wir beide nebeneinander sitzen, obwohl das wegen des ungleich verteilten Gewichts für die Träger beschwerlicher war. Wenn ich zurückdenke, sehe ich, wie jung wir waren – zwei kleine Mädchen, die grundlos kicherten, ihr Stickgarn sortierten, Händchen hielten, heimlich durch den Vorhang schielten, als Ehrenwerte Frau Wang wegdämmerte, und zusahen, wie die Welt vor dem Fenster vorbeizog. Wir waren so beschäftigt, dass keiner von uns schlecht wurde, als die Träger über die unebene Straße rumpelten.
Das war unsere erste Reise nach Shexia und zum Tempel der Gupo. Ehrenwerte Frau Wang fuhr im nächsten Jahr wieder mit uns hin, und wir brachten zum ersten Mal unsere Opfergaben im Tempel dar. Sie begleitete uns beinahe jedes Jahr dorthin, bis unsere Tochtertage vorüber waren. Nachdem Schneerose und ich geheiratet hatten, trafen wir uns jedes Jahr in Shexia, wenn es die Umstände erlaubten, und wir brachten immer Opfergaben dar, damit wir Söhne bekamen, wir besuchten stets den Garnhändler, um ähnliche Farben für unsere Stickereien zu kaufen, wir ließen immer wieder Einzelheiten von unserem ersten Besuch aufleben, und wir nahmen uns jedes Mal Zeit, am Ende des Tages den karamellisierten Taro des Alten Zuo zu genießen.
Wir erreichten Puwei bei Sonnenuntergang. An diesem Tag hatte ich mehr als nur eine Freundin außerhalb meiner eigenen Familie gefunden. Ich hatte einen Vertrag unterzeichnet, mit dem ich die Weggefährtin eines anderen Mädchens wurde. Ich wollte nicht, dass dieser Tag zu Ende ging, aber ich wusste, es würde soweit sein, sobald wir bei mir zu Hause waren. Ich
stellte mir vor, wie ich abgesetzt wurde und dann zusah, wie die Träger mit Schneerose weiterzogen und nur ihre Finger heimlich unter dem wehenden Vorhang hervorspitzten, um mir ein letztes Mal zuzuwinken, bevor sie um die Ecke verschwand. Doch ich durfte feststellen, dass mein Glück noch nicht vorüber war.
Wir hielten an, und ich stieg aus. Dann ließ Frau Wang Schneerose ebenfalls aussteigen. »Auf Wiedersehen, Mädchen, in ein paar Tagen hole ich Schneerose wieder ab.« Sie beugte sich aus der Sänfte, kniff Schneerose in die Wangen und fügte hinzu: »Sei brav. Beklage dich nicht. Lerne mit Augen und Ohren. Deine Mutter soll stolz auf dich sein können.«
Wie kann ich erklären, was ich fühlte, als wir beide allein vor der Tür meines Elternhauses standen? Ich war überglücklich, aber ich
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