Seidenfächer
schön heißt, eine unglückliche Frau sinnt stets auf Rache.
Ehrenwerte Frau Gao reiste nach Tongkou, um der Familie von Schneerose ihre Dienste anzubieten. Es dauerte nicht lange, bis diese Kunde Ehrenwerte Frau Wang erreicht hatte. Diese Unstimmigkeit hatte zwar nichts mit uns zu tun, doch die Auseinandersetzung fand in unserem Hause statt. Frau Wang kam, um Schneerose abzuholen, und fand Frau Gao vor, die Melonenkerne aß und die Zeremonie der Datumsbestimmung für die Hochzeit von Älterer Schwester mit Baba im Hauptwohnraum besprach. Vor ihm wurde nichts gesagt. So unkultiviert war keine der beiden Frauen. Frau Gao hätte den Streit gänzlich vermeiden können, wenn sie einfach gegangen wäre, nachdem sie ihre Angelegenheiten erledigt hatte. Stattdessen begab sie sich nach oben, ließ sich auf einen Stuhl fallen und fing an, sich mit ihrem Erfahrungsschatz als Heiratsvermittlerin zu brüsten. Sie war wie ein Finger, der in einem Furunkel herumbohrte. Schließlich wurde es Frau Wang zu viel.
»Nur eine läufige Hündin wäre so schwachsinnig, in mein Dorf zu kommen und zu versuchen, eine meiner kleinen Nichten zu stehlen«, schnauzte Frau Wang.
»Tongkou ist nicht Euer Dorf, Alte Tante«, entgegnete Frau Gao ruhig. »Wenn Ihr dort genug zu schaffen habt, weshalb schnüffelt Ihr dann in Puwei herum? Eurem eigenen Verständnis nach sollten Lilie und Schöner Mond mir gehören. Aber schreie ich deshalb waa-waa wie ein Baby?«
»Ich finde gute Partien für diese Mädchen. Das wird mir auch bei Schneerose gelingen. Ihr könntet das nicht besser machen.«
»Seid Euch da nicht so sicher. Bei ihrer älteren Schwester ist Euch das nicht so gut gelungen. In Anbetracht von Schneeroses Umständen bin ich besser geeignet.«
Habe ich erwähnt, dass auch Schneerose im Raum war und mit anhörte, wie über sie und ihre Schwester gesprochen wurde, als wären sie minderwertige Reissäcke, um die skrupellose Händler miteinander feilschten? Sie stand neben Frau Wang und wartete darauf, mit ihr nach Hause zu fahren. In der Hand hatte sie ein Stück Stoff, das sie bestickt hatte. Sie drehte es in den Fingern, so dass sich die Fäden dehnten. Sie blickte nicht auf, aber ich sah trotzdem, dass ihr Gesicht und ihre Ohren leuchteten. An diesem Punkt hätte der Streit eskalieren können. Stattdessen streckte Frau Wang ihre geäderte Hand aus und legte sie Schneerose sanft ins Kreuz. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich Frau Wang nicht zugetraut, dass sie zu Mitleid oder gar einem Rückzug fähig war.
»Ich spreche nicht mit Frauen aus der Gosse«, krächzte sie. »Komm, Schneerose. Wir haben einen langen Heimweg vor uns.«
Wir hätten diese Episode gleich wieder vergessen, doch von da an kabbelten sich die beiden Kupplerinnen bei jeder Gelegenheit. Wenn Frau Gao hörte, dass Frau Wangs Sänfte in Puwei angekommen war, zog sie sich übertrieben bunte Gewänder an, legte Rouge auf und kam in unser Haus, um herumzuschnüffeln wie – nun, wie eine läufige Hündin.
Als Schneerose und ich elf Jahre alt wurden, waren unsere Füße zur Gänze verheilt. Meine waren mit nur sieben Zentimetern Länge fest und auffallend ebenmäßig. Schneeroses Füße waren ein wenig größer, während die von Schöner Mond noch länger waren, dafür wunderbar geformt. Das und dazu die guten häuslichen Fähigkeiten von Schöner Mond hatten sie zu einer sehr guten Partie gemacht. Nachdem wir nun das Füßebinden hinter uns gebracht hatten, begann Ehrenwerte Frau Wang für uns alle drei die Verhandlungen wegen der förmlichen Verlobung zu führen. Unsere acht Zeichen wurden zusammen mit denen unserer zukünftigen Ehemänner berechnet, und es wurden Verlobungstermine bestimmt.
Genau wie Frau Wang vorausgesagt hatte, brachte mir die Perfektion meiner goldenen Lilien eine vorteilhafte Verbindung. Sie arrangierte, dass ich in die beste Familie Lu von Tongkou einheiraten sollte. Der Onkel meines Mannes war ein jinshi -Gelehrter, der vom Kaiser viel Land als Lehen bekommen hatte. Onkel Lu, wie er genannt wurde, war kinderlos. Er lebte in der Hauptstadt und verließ sich darauf, dass sich sein Bruder um seinen Besitz kümmerte. Da mein Schwiegervater als Oberhaupt des Dorfes fungierte – er vermietete Grund an die Bauern und trieb die Pacht ein -, ging jedermann davon aus, dass mein Ehemann das zukünftige Oberhaupt sein würde. Schöner Mond sollte in eine geringere Lu-Familie in der Nähe einheiraten. Ihr Verlobter war der Sohn eines Bauern, der viermal so
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