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Seidenfächer

Titel: Seidenfächer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L See
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mich mit dem Ellbogen an. Ich schaute ins Wasser und sah in den sich kräuselnden Wellen das Spiegelbild unserer beiden Gesichter. Uns beiden tropfte Wasser vom Gesicht. Sie kicherte und schnippte mir ein paar Spritzer Wasser entgegen. In diesem Moment, in dem wir uns das Wasser teilten, wusste ich, dass meine laotong mich auch liebte.

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    W ährend der nächsten drei Jahre kam Schneerose alle paar Monate zu Besuch. Ihre himmelblaue Jacke mit dem Wolkenmuster wich einer neuen aus lavendelfarbener Seide mit weißem Rand – eine seltsame Farbkombination für ein so junges Mädchen. Sobald sie das obere Gemach betrat, zog sie das an, was meine Mutter für sie genäht hatte. Auf diese Weise waren wir innerlich wie äußerlich Weggefährtinnen.
    Ich war immer noch nicht in Tongkou, Schneeroses Heimatdorf, gewesen. Ich stellte nie Fragen deswegen und hörte auch die Erwachsenen zu Hause nie über diesen seltsamen Umstand sprechen. Als ich neun war, hörte ich eines Tages mit an, wie Mama versuchte, Ehrenwerte Frau Wang deswegen zur Rede zu stellen. Sie standen vor unserer Schwelle, so dass die Wortfetzen hinauf zu meinem Platz am Gitterfenster trieben.
    »Mein Mann sagt, wir müssen Schneerose immer durchfüttern«, sagte Mama an diesem Tag leise, in der Hoffnung, niemand würde sie hören. »Und wenn sie da ist, müssen wir immer zusätzlich Wasser zum Trinken, Kochen und Waschen holen. Er will wissen, wann Lilie Tongkou besucht. So ist das doch üblich …«
    » Üblich ist es, dass alle acht Zeichen zueinander passen«, erinnerte Frau Wang meine Mutter, »aber wir beide wissen, dass ein wichtiges Merkmal fehlt. Schneerose ist in eine Familie gekommen, die unter der ihren steht.« Frau Wang machte eine Pause, dann fügte sie hinzu: »Darüber hat sich aber niemand beschwert, als ich das erste Mal in dieser Sache auf Euch zugekommen bin.«

    »Ja, aber …«
    »Ihr versteht ganz einfach nicht, wie das geht«, fuhr Frau Wang ungnädig fort. »Ich habe Euch von Anfang an gesagt, dass ich hoffe, in Tongkou eine Partie für Lilie zu finden, aber eine Ehe könnte dort nie geschlossen werden, wenn ein potenzieller Bräutigam vor dem Hochzeitstag zufällig einen Blick auf Eure Tochter erhascht. Außerdem hat Schneeroses Familie unter dem gesellschaftlichen Ungleichgewicht der Mädchen zu leiden. Ihr solltet dankbar sein, dass sie nicht verlangt haben, den laotong -Bund zu beenden. Es ist natürlich nie zu spät für eine Änderung, wenn Euer Mann das wirklich wünscht. Lediglich für mich bedeutet das zusätzliche Widrigkeiten.«
    Was blieb meiner Mutter anderes übrig, als zu sagen: »Ehrenwerte Frau Wang, ich hatte Unrecht. Bitte tretet ein. Kann ich Euch Tee anbieten?«
    An dem Tag hörte ich Mamas Scham und Furcht durch. Sie durfte diesen Bund in keiner Beziehung gefährden, selbst wenn er eine zusätzliche Last für unsere Familie bedeutete.
    Du fragst dich sicher, wie es mir ging, als ich hörte, dass die Familie von Schneerose nicht das Gefühl hatte, ich sei ihnen gleichgestellt. Das machte mir nichts aus, denn ich wusste ja, dass mir Schneeroses Zuneigung nicht zustand. Jeden Tag arbeitete ich hart daran, sie mich so lieben zu machen, wie ich sie liebte. Meine Mutter tat mir Leid – nein, ich schämte mich für sie. Sie hatte vor der Ehrenwerten Frau Wang das Gesicht verloren. Doch in Wahrheit waren mir Babas Bedenken, Mamas Unbehagen, Frau Wangs Sturheit oder die genaue Natur der Beziehung zwischen Schneerose und mir egal. Selbst wenn ich Tongkou hätte besuchen können, ohne dass mich mein zukünftiger Mann gesehen hätte, so hatte ich auch so das Gefühl, ich müsse gar nicht erst dorthin, um das Leben meiner laotong kennen zu lernen. Sie hatte mir bereits mehr über ihr Dorf, ihre Familie und ihr schönes Heim erzählt, als ich je durch den bloßen
Anblick hätte erfahren können. Doch damit war diese Angelegenheit noch nicht aus der Welt.
    Ehrenwerte Frau Wang und Ehrenwerte Frau Gao führten ständig Revierkämpfe. Als Kupplerin für die Bewohner von Puwei hatte Frau Gao eine gute Partie für Ältere Schwester ausgehandelt und ein geeignetes Mädchen aus einem anderen Dorf für Älteren Bruder gefunden. Sie war davon ausgegangen, das gleiche für Schöner Mond und mich zu tun. Aber Frau Wang – mit ihren Vorstellungen über mein Schicksal – hatte nicht nur mein Leben und das von Schöner Mond verändert, sondern auch das von Frau Gao. Dieses Geld würde nun nicht in ihrer Tasche landen. Wie es so

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