Seidenfächer
entsprechend weder Verpflegung noch Kleidung dabei. Ehrenwerte Frau Wang gab ihr dieselbe
Ermahnung mit auf den Weg wie das letzte Mal. Sie sollte brav sein, nicht klagen, mit Augen und Ohren lernen und ihrer Mutter Grund geben, stolz auf sie zu sein. Schneerose antwortete: »Ja, liebste Tante«, aber ich merkte genau, dass sie gar nicht zuhörte, denn sie stand auf der Straße und schaute hoch zu dem Gitterfenster, wo sie mein Gesicht im Schatten suchte.
Mama trug Schneerose nach oben, und von der Minute an, in der ihre Füße den Boden des Frauengemachs berührten, hörte sie nicht mehr auf zu reden. Sie schwatzte, flüsterte, neckte, vertraute mir Heimlichkeiten an, tröstete, bewunderte. Das war nicht das Mädchen, das mich mit seinen Gedanken ans Wegfliegen verwirrte. Sie wollte einfach nur spielen, sich vergnügen, kichern und reden, reden, reden, reden, reden, reden, reden, und zwar über Kleinmädchendinge.
Ich hatte ihr gesagt, dass ich sie gerne als Lehrerin hätte, und so begann sie an diesem Tag, mir Sachen aus der Klassischen Schrift für Frauen beizubringen, zum Beispiel, dass ich beim Lächeln nie die Zähne zeigen sollte oder nie die Stimme erheben, wenn ich mit einem Mann sprach. Aber sie hatte geschrieben, dass sie auch von mir lernen wollte, und so bat sie mich, ihr zu zeigen, wie man die Klebreiskuchen machte. Sie stellte mir auch seltsame Fragen übers Wasserholen und das Herstellen von Schweinefutter. Ich lachte, weil doch jedes Mädchen solche Dinge weiß. Schneerose schwor mir, dass sie keine Ahnung hatte. Ich war mir sicher, dass sie mich auf den Arm nahm. Doch sie bestand darauf, dass sie wirklich nichts darüber wusste. Dann fingen auch noch die anderen an, mich anzuspornen.
»Vielleicht bist du ja diejenige, die nicht weiß, wie man Wasser holt!«, rief Ältere Schwester.
»Und vielleicht hast du vergessen, wie man ein Schwein füttert«, fügte Tante hinzu. »Dieses Wissen hast du mit deinen alten Schuhen weggeworfen.«
Das war zu viel, und ich stand auf. Ich war so wütend, dass ich die Fäuste in die Hüften stemmte und sie alle finster anschaute, doch als ich die freundlichen Gesichter sah, die mir entgegenblickten, verflog mein Ärger, und ich wollte sie noch glücklicher machen.
Alle im Frauengemach fanden es recht lustig, mir dabei zuzusehen, wie ich auf meinen immer noch nicht ganz verheilten Füßen hin und her wackelte und so tat, als zöge ich Wasser aus dem Brunnen und schleppte es zurück zum Haus, oder als bückte ich mich, um Gras zu rupfen und es mit Küchenabfällen zu vermischen. Schöner Mond lachte so sehr, dass sie sagte, sie müsse gleich pinkeln. Sogar Ältere Schwester, die so ernsthaft mit der Arbeit an ihrer Mitgift beschäftigt war, kicherte in ihren Ärmel hinein. Als ich zu Schneerose hinüberschaute, strahlten ihre Augen, während sie freudig in die Hände klatschte. Ja, so war Schneerose. Sie kam ins Frauengemach und brachte mich mit ein paar einfachen Worten dazu, Dinge zu tun, auf die ich selbst im Traum nicht gekommen wäre. Sie betrat diesen Raum – für mich Ort der Geheimnisse, des Leidens und der Trauer – und verwandelte ihn in eine Oase der Fröhlichkeit, des Lachens und der Albernheiten.
Trotz ihrer Vorträge darüber, dass man mit Männern leise sprechen sollte, plapperte sie während des Essens auf Baba und Onkel ein und brachte auch sie zum Lachen. Jüngerer Bruder kletterte auf Schneerose herum, als wäre er ein Affe und ihr Schoß ein Nest in einem Baum. Sie hatte so viel Leben in sich. Wo sie auch hinging, verzauberte sie die Menschen und verbreitete gute Laune. Sie war etwas Besseres als wir – das konnte jeder sehen -, aber für meine Familie wurde sie zu einem Abenteuer. Für uns war sie ein seltener Vogel, der seinem Käfig entflohen war und nun durch einen Hof mit ganz gewöhnlichen Hühnern streifte. Wir fanden das lustig, aber ihr ging es genauso.
Es wurde Zeit, uns das Gesicht vor dem Zubettgehen zu waschen. Ich erinnerte mich an meine Verlegenheit bei Schneeroses erstem Besuch. Ich bedeutete ihr, sie solle die Erste sein, aber sie weigerte sich. Doch wenn ich mich zuerst wusch, dann hätte sie kein klares Wasser mehr. Aber als Schneerose sagte: »Wir waschen uns zusammen das Gesicht«, da wusste ich, dass meine gewöhnliche Bauernarbeit und meine Hartnäckigkeit den gewünschten Ertrag gebracht hatten. Gemeinsam beugten wir uns über die Waschschüssel und schöpften uns mit den Händen Wasser ins Gesicht. Sie stupste
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