Seidenfächer
wir überall mithalfen. Hatten die Frauen in Schneeroses Haus ihr zwar die höheren Künste hervorragend beigebracht, so hatten sie bei den häuslichen doch völlig versagt, so dass sie mich auf Schritt und Tritt verfolgte, wenn ich meine Hausarbeiten erledigte. Wir standen bei Sonnenaufgang auf und schürten das Kochfeuer. Nachdem Schneerose und ich abgewaschen hatten, bereiteten wir das Futter für das Schwein zu. Mittags gingen wir ein paar Minuten hinaus, um frisches Gemüse aus dem Küchengarten zu holen, dann machten wir Mittagessen. Früher hatten Mama und Tante das alles erledigt. Jetzt beaufsichtigten sie uns dabei. Die Nachmittage wurden im Frauengemach verbracht. Wenn es Abend wurde, halfen wir bei der Zubereitung und beim Servieren des Abendessens.
In jeder Minute jeden Tages bekamen wir Unterricht. Die
Mädchen in unserem Haushalt – und dazu zähle ich auch Schneerose – bemühten sich, gute Schülerinnen zu sein. Schöner Mond war die Beste beim Faden- und Garnmachen – Aufgaben, für die Schneerose und ich keine Geduld hatten. Ich kochte gerne, aber Weben, Nähen und Schuhemachen fand ich weniger interessant. Das Putzen gefiel keiner von uns, aber Schneerose stellte sich ganz besonders dabei an. Mama und Tante schimpften sie nicht so aus wie mich und meine Cousine, wenn wir den Boden nicht gut genug fegten oder die Röcke meines Vaters nicht ganz sauber wurden. Ich dachte, sie wären mit Schneerose nachgiebiger, weil sie wussten, sie würde eines Tages Dienerinnen haben und diese Dinge nie selbst erledigen müssen. Ich betrachtete ihr Versagen jedoch anders. Sie würde nie lernen, richtig sauber zu machen, weil sie irgendwie über den praktischen Dingen des Lebens zu schweben schien.
Wir lernten auch von den Männern in meiner Familie, wenngleich nicht so, wie man es erwarten würde. Baba und Onkel hätten uns nie etwas direkt beigebracht. Das hätte sich nicht gehört. Ich meine eher, dass ich etwas über Männer lernte, indem ich sah, wie Schneerose mit ihnen umging und wie Baba und Onkel darauf reagierten. Congee , Reisbrei, ist kinderleicht zu machen – nur Reis, viel Wasser und rühren, rühren, rühren -, also ließen wir Schneerose das zum Frühstück zubereiten. Als sie sah, dass Baba gerne noch eine Extraportion Frühlingszwiebeln dazu aß, sorgte sie dafür, dass in seiner Schale eine zusätzliche Hand voll landete. Beim Abendessen hatten Mama und Tante immer schweigend die Teller auf den Tisch gestellt, und Baba und Onkel konnten sich bedienen; Schneerose ging um den Tisch herum, hielt den Kopf gesenkt und bot jedes Gericht zuerst Baba, dann Onkel, dann Älterem Bruder, dann Zweitem Bruder an. Sie hielt immer respektvoll Abstand, wirkte aber gleichzeitig zuvorkommend. Ich stellte fest, dass die Männer durch Schneeroses kleine Aufmerksamkeiten plötzlich aufhörten,
sich das Essen in den Mund zu schaufeln, auf den Boden zu spucken oder sich den vollen Bauch zu kratzen. Stattdessen lächelten sie sie an und redeten mit ihr.
Meine Wissbegierde ging weit über das hinaus, was von mir im oberen Frauengemach, in den unteren Räumlichkeiten und sogar beim Studium von Nushu verlangt wurde. Ich wollte etwas über meine Zukunft wissen. Glücklicherweise redete Schneerose gerne und erzählte mir viel über Tongkou. Mittlerweile war sie schon oft zwischen unseren beiden Dörfern hinund hergefahren und kannte die Strecke gut. »Wenn du zu deinem Mann gehst«, erklärte sie mir, »dann kommst du über den Fluss und durch viele Reisfelder, in Richtung der niedrigen Berge, die du vom Rand von Puwei aus sehen kannst. Tongkou liegt in den Ausläufern dieser Hügel. Sie werden nie wanken, genauso wenig wie wir, zumindest behauptet das mein Baba. In Tongkou sind wir vor Erdbeben, Hungersnöten und Räuberbanden geschützt. Es ist vollkommenes feng shui .«
Wenn ich Schneerose so zuhörte, wurde Tongkou in meiner Vorstellung immer größer, aber das war nichts im Vergleich dazu, wie ich mich fühlte, wenn sie von meinem Mann und meinen zukünftigen Schwiegereltern erzählte. Weder Schöner Mond noch ich waren bei dem Gespräch zwischen Frau Wang und unseren Vätern dabei gewesen, aber die wichtigsten Dinge wussten wir: Jeder, der in Tongkou lebte, war ein Lu, und beide Familien waren wohlhabend. Das wiederum interessierte unsere Väter, doch wir wollten mehr über unsere Männer, unsere Schwiegermütter und die anderen Frauen in unseren oberen Gemächern wissen. Nur Schneerose konnte uns die Antworten
Weitere Kostenlose Bücher