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Seidenfächer

Titel: Seidenfächer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L See
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viel mou bearbeitete wie Baba und Onkel. Für uns war das schon viel, aber es war immer noch weit, weit weniger als das, was mein zukünftiger Schwiegervater für seinen Bruder verwaltete.
    »Schöner Mond, Lilie«, sagte Frau Wang, »ihr beide steht euch so nahe wie Schwestern. Nun wird es euch ergehen wie meiner Schwester und mir. Wir haben beide nach Tongkou geheiratet. Obwohl uns beiden Unglück widerfahren ist, haben wir das Glück, unser ganzes Leben zusammen verbracht zu
haben.« Schöner Mond und ich waren wirklich dankbar, dass wir weiterhin alles teilen durften – von unseren Reis-und-Salz-Tagen als Ehefrauen und Mütter bis zum Stillsitzen als Witwen.
    Schneerose musste aus Tongkou wegheiraten, aber sie würde ganz in der Nähe sein – in Jintian, dem Dorf der offenen Felder. Ehrenwerte Frau Wang versprach uns, dass Schöner Mond und ich durch unsere neuen Gitterfenster Jintian und sogar Schneeroses Fenster sehen konnten. Wir hörten nicht viel von der Familie, in die Schneerose einheiratete, außer dass ihr Verlobter im Jahr des Hahns geboren war. Das beunruhigte uns. Jeder weiß, dass diese Verbindung nicht ideal ist, da der Hahn auf dem Rücken des Pferdes sitzen will.
    »Keine Sorge, Mädchen«, beruhigte uns Frau Wang. »Der Wahrsager hat die Elemente Wasser, Feuer, Metall, Erde und Holz berechnet. Ich verspreche euch, dass dies kein Fall ist, in dem Wasser und Feuer zusammenleben müssen. Alles wird gut«, sagte sie, und wir glaubten ihr.
    Die Familien unserer Bräutigame schickten die ersten Geschenke – Geld, Süßigkeiten und Fleisch. Tante und Onkel bekamen eine Schweinekeule, während Mama und Baba ein ganzes gebratenes Schwein bekamen, das aufgeschnitten und unseren Verwandten in Puwei als Geschenk geschickt wurde. Unsere Eltern revanchierten sich bei der Familie der Bräutigame mit Eiern und Reis. Das sollte unsere Fruchtbarkeit symbolisieren. Dann warteten wir darauf, dass das zweite Stadium begann, in dem unsere zukünftigen Schwiegereltern den günstigen Kalendertag für unsere Hochzeiten kundtun würden.
    Man stelle sich nur vor, wie glücklich wir waren. Unsere Zukunft war geregelt. Wir waren noch jung genug zu glauben, dass wir mit unserem freundlichen Gemüt alle Schwierigkeiten mit unseren Schwiegermüttern bewältigen würden. Wir machten eifrig unsere Nadelarbeiten. Doch vor allem waren wir froh, dass wir zusammensein konnten.

    Tante lehrte uns weiterhin Nushu, aber wir lernten auch von Schneerose, die jedes Mal, wenn sie zu Besuch kam, neue Zeichen mitbrachte. Manche hatte sie daher, dass sie ihrem Bruder bei seinen Studien heimlich über die Schulter schaute, denn viele Nushu-Zeichen sind nur die kursive Version von Männerschriftzeichen. Andere kamen von Schneeroses Mutter, die unsere geheime Frauenschrift extrem gut beherrschte. Wir verbrachten Stunden damit, sie zu üben, und fuhren uns gegenseitig mit dem Finger die Striche auf den Handflächen nach. Tante ermahnte uns immer, viel Sorgfalt auf die Wörter zu verwenden, denn da wir phonetische Zeichen verwenden und nicht piktographische wie die Männer bei ihrer Schrift, kann bei uns die Bedeutung leicht verloren gehen oder falsch verstanden werden.
    »Jedes Wort muss in einen Zusammenhang gesetzt werden«, erinnerte sie uns jeden Tag am Ende der Stunde. »Es könnte sehr tragische Folgen haben, wenn etwas falsch gelesen wird.« Nach dieser Mahnung belohnte uns Tante mit der romantischen Geschichte von der Frau hier aus der Gegend, die unsere Geheimschrift erfunden hat.
    »Lange ist es her, zur Zeit des Song-Reichs, vielleicht vor mehr als tausend Jahren«, erzählte sie wieder, »da begab sich Kaiser Song Zhezong in seinem Reich auf die Suche nach einer neuen Konkubine. Er reiste weit und kam schließlich in unseren Landkreis, wo er von einem Bauern namens Hu im Dorf Jintian hörte, der angeblich recht gebildet und vernünftig war. Ja, Jintian, wo unsere Schneerose leben wird, wenn sie wegheiratet. Meister Hu hatte einen Sohn, der Gelehrter war, ein sehr hochrangiger junger Mann, der sich in den kaiserlichen Prüfungen äußerst gut gemacht hatte, doch am meisten fasziniert war der Kaiser von der ältesten Tochter des Bauern. Sie hieß Yuxiu. Sie war kein gänzlich nutzloser Ast, denn ihr Vater hatte für ihre Bildung gesorgt. Sie konnte klassische Gedichte aufsagen
und hatte die Männerschrift gelernt. Sie konnte singen und tanzen. Ihre Stickarbeiten waren fein und zart. All dies überzeugte den Kaiser davon, dass sie eine

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