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Seidenfessel - Maeda, K: Seidenfessel

Seidenfessel - Maeda, K: Seidenfessel

Titel: Seidenfessel - Maeda, K: Seidenfessel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kira Maeda
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fragen. Trotz Tomos Warnung, dass sie lieber nicht allzu sehr nachforschen sollte, fragte sie in den Bars und Clubs im Kabukichō nach dem Verbleib ihres Bruders. Die Host Clubs und Bars des Vergnügungsviertels bewegten sich alle am Rande der Legalität. Prostitution war in Japan verboten, und so wurde die rothaarige Ausländerin oftmals misstrauisch beäugt. Isabelle blieb aber hartnäckig. Die Behauptung, Reporterin zu sein, minderte das Misstrauen zumindest ein wenig, aber anstelle von kühler Abweisung erntete sie jetzt Kopfschütteln.
    Das Kabukichō war groß, und Isabelle hatte bis zum Abend gerade einmal ein knappes Viertel der Gegend geschafft. Um dreiundzwanzig Uhr, als der Bezirk wieder für die Vergnügungshungrigen der Stadt erwachte, musste sie die Suche abbrechen. Sie fuhr ins Hotel zurück und fiel erschöpft und todmüde ins Bett.
    Am nächsten Tag stand zu Isabelles Überraschung Tomo vor der Hotelzimmertür. Isabelle fühlte sich noch immer wie erschlagen und blinzelte die Japanerin nur müde an.
    „O-hayō!“, schallte es ihr fröhlich entgegen, als Tomo eintrat.
    „Dir auch“, nuschelte sie und wandte sich ab. Tomo folgte ihr ins Zimmer und schob Isabelle in Richtung des viel zu kleinen Badezimmers. „Beeil dich, wir sind spät dran.“
    „Spät dran wofür?“
    „Für das andere Tokio“, sagte Tomo geheimnisvoll. Isabelle wollte mehr wissen, aber Tomo verweigerte ihr jeden weiteren Hinweis, bis sie endlich im Badezimmer verschwand.
    Isabelle hatte gelernt, was ein Tag in der brütenden, schwülen Hitze der Megacity bedeutete, und kleidete sich dementsprechend. Sie trug leichte Kleidung und hatte ihr dichtes, rotes Haar hochgebunden. Zu ihrem Glück, denn Tomo schleifte sie gnadenlos durch den Tokioter Morgen, der noch hektischer war, als der Abend zuvor. Das schnelle Laufen und ständige Ausweichen ließ die Haut bald wieder nass wie nach einem Regenguss werden. „So wirklich anders sieht das hier aber gar nicht aus“, konnte Isabelle sich nicht verkneifen. Tomo warf ihr einen strengen Blick zu und lotste sie weiter über volle Kreuzungen, durch verstopfte Straßen und mitten durch hastig vorbeihetzende Menschenmengen.
    Sie überquerten eine der vielen Fußgängerbrücken, und plötzlich fand sich Isabelle vor einem großen hölzernen Torbogen wieder. Er bestand aus zwei Säulen, die einen waghalsig geschwungenen Holzbalken stützten, ragte weit über ihnen auf und war der Eingang zu einem üppig angelegten Park mit saftig grünen Bäumen. Der Lärm der anliegenden Straße wurde von den rauschenden Blättern gedämpft. Isabelle öffnete den Mund ... und klappte ihn wieder zu.
    „Du hast bisher nur das neue Tokio kennengelernt“, sagte Tomo und betrat den breiten Kiesweg, der tiefer in den Park führte. Es war Isabelle ein Rätsel, wie sie mit den halsbrecherischen Hacken über den Kies gehen konnte, ohne umzuknicken. Aber ihre Freundin bewegte sich so sicher, als hätte sie bequeme Schuhe an.
    Die Geräusche der Stadt verklangen bald ganz, je tiefer sie in den Park vordrangen. Obwohl der Tag heiß werden würde, war die Temperatur inmitten dieser grünen Oase angenehm kühl. Ausnahmsweise sprach Tomo nicht viel, sondern schlenderte an Isabelles Seite durch das dichte Grün. Die Luft hatte eine ganz andere Qualität, und Isabelle konnte fast vergessen, dass sie sich inmitten dieser riesigen Stadt befand und auf der Suche nach ihrem Bruder war. Dieser Park, nein, dieser Wald schuf eine beruhigende Atmosphäre.
    Der Weg führte sie an einen großen Platz. Er war ebenfalls mit Kies ausgelegt, der in der frühen Sonne weiß schimmerte. Ein riesiger Tempelschrein befand sich auf der anderen Seite und neben ihm erstreckte sich eine Eiche als einziger Baum weit hinauf in den Himmel. Das Bild tauchte dermaßen überraschend auf und wirkte so friedlich, dass Isabelle stehen blieb. Tomo schmunzelte. „Das ist der Schrein des Meiji-Kaisers“, erklärte sie. „Wollen wir dem Tennō einen Besuch abstatten?“
    Überwältigt nickte Isabelle. Tomo deutete auf ein kleines Wasserbecken, das unter einem hölzernen Dach stand, und schöpfte mit einer Bambuskelle etwas Wasser daraus. Sie kippte es über ihre Hände und wusch sie. Isabelle tat es ihr nach. Das Wasser war kühl und erfrischend. Sie seufzte zufrieden und folgte Tomo zu der großen Eiche. Etwas abseits davon war eine kleine Hütte aufgebaut, vor der sich Körbe und Haken mit verschiedenen Waren befanden: kleine Säckchen aus Seide,

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