Seidenfpade
aus einem Mund.
»Das muß aber eine verdammt wertvolle Seide sein, wenn sie sich solche Mühe machen«, bemerkte der Fahrer.
Dani nickte eifrig.
Shane begriff, daß die Seide also hier war. »Jetzt bleibt nur noch die Frage, wie die Harmony auf die Abwesenheit ihres Ehrengasts reagiert.«
»Abwesenheit?« hakte Flanders nach.
»... des Ehrengasts«, bestätigte Shane. »Könnten Sie schneller fahren? Die Zeit drängt.«
Flanders warf einen Blick in den Rückspiegel, um zu sehen, ob Shane scherzte.
Es war ihm ernst. Daher gab der Fahrer Gas.
27
Einmal abgesehen von der Lücke zwischen Tony Lius Vorderzähnen, hätte er der grinsenden Katze in »Alice im Wunderland« alle Ehre gemacht. Sein Lächeln strahlte gerissener denn je im harten Schein der nackten Glühbirnen, die von den Balken des alten hölzernen Lagerhauses hingen.
Der Buddha strahlte ebenfalls, aber anders.
Er war etwas mehr als lebensgroß und bestand aus kostbarem Teakholz. Es handelte sich nicht nur um eine wundervoll geschnitzte Figur, sondern um ein Kunstwerk. Arme und Torso des sitzenden Erhabenen zeugten von Kraft und Stärke, was der Statue neben Spiritualität eine starke Sinnlichkeit verlieh.
Doch vor allem im Gesicht der Figur trat die Größe des Künstlers zutage. Ihr Ausdruck war sowohl gelassen als auch in sich versunken, was einen Eindruck von Entrücktheit hervorrief, die menschliches Verständnis überstieg. Liu stieß den Arm der Statue mit dem Ellenbogen an.
»Hübsch, nicht wahr?« fragte er.
Kasatonin nickte. »Trotzdem mehr ein Herrscher als ein Gott«, sagte er langsam. »Stimmt das nicht, Katja?«
Sie schüttelte ihr Haar und wandte den Blick ab. Alles, was mit Religion zu tun hatte, verursachte ihr Unbehagen.
»Die Statue wurde in Bangkok angefertigt«, berichtete Liu. »Sie soll das Herzstück eines wunderschönen neuen Tempels bilden, den die Buddhisten hier in Seattle errichten.«
Ungeduldig drehte sich Katja um und blickte den Chinesen herausfordernd an. Liu reizte sie schon seit fast einer Stunde. Immer wieder deutete er auf das Vorhandensein der Seide hin, ohne wirklich zu verraten, wo sie sich befand.
»Ist es nicht erstaunlich«, sagte Liu, »wie wir uns vor solchen Gottheiten immer wieder erbärmlich Vorkommen, selbst wenn wir nicht einer bestimmten Religion oder Glaubensrichtung angehören?«
»Kommt darauf an«, wandte Katja ein.
Kasatonin beobachtete Liu mit ausdruckslosen blauen Augen.
»Selbst Regierungsbeamte und beliebige Passanten erweisen ihnen Respekt«, fuhr Liu fort.
»Wollen Sie damit auf etwas Bestimmtes hinaus?« Katja quetschte sich ein Lächeln ab.
Liu nickte leicht und genoß ihre Ungeduld.
»Man will immer auf irgend etwas hinaus«, murmelte der Chinese.
»Dann erklären Sie es. Bitte«, fügte Katja hinzu.
»Es wäre auf alle Fälle undenkbar für einen einfachen Zollbeamten, eine so kostbare und künstlerisch wertvolle religiöse Statue wie diese richtig einzuschätzen«, sagte Liu.
Während Kasatonin mit dem starräugigen Interesse einer Schlange zusah, nahm Liu einen Hammer zur Hand, den man zuvor zum Offnen der Transportkiste benutzt hatte. Er wog das Werkzeug in der Hand, testete Balance und Gewicht. »... und auch unvorstellbar, beispielsweise das hier zu tun.«
Noch während Liu sprach, schwang er den Hammer. Seine Bewegung kam ebenso schnell wie überraschend. Stahl krachte gegen Teakholz. Das überirdisch schöne Gesicht zerbarst. Holzsplitter flogen in alle Richtungen.
Entsetzt rang Katja nach Luft. Trotz ihrer äußerlich zur Schau getragenen Gleichgültigkeit befand sich in ihrem Herzen immer noch ein Rest russisches Schulmädel, mit der Achtung, die ein Schulmädel religiösen Statuen gegenüber empfindet.
Liu lachte bei ihrer Reaktion laut auf und gab einem seiner Assistenten einen Wink.
Der Mann öffnete eine Schachtel und hob einen Buddhakopf heraus, der ebenso außergewöhnlich war wie der, den Liu soeben zerschmettert hatte.
»Nur keine Angst«, sagte er. »Der Buddha geht schon nicht kopflos in seinen neuen Tempel. Ich habe hier einen Ersatzkopf, vom selben Künstler!«
»Wirklich bemerkenswert, was Sie in so kurzer Zeit zustande gebracht haben«, bewunderte Kasatonin den Gauner.
Lius Kopfnicken war gleichzeitig eine kleine Verbeugung vor sich selbst.
»Ich besitze dieses wunderschöne, zweiköpfige Kunstwerk schon eine ganze Weile«, sagte er. »Und eines Tages mußte einfach etwas auftauchen, das es wert war, Buddhas Schutz anheimgestellt zu
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