Seidenfpade
anzuwenden.«
»So wie du?«
»Ich habe nie eine Diplomarbeit zustande gebracht«, bekannte Shane.
»Nein, du hast sie gelebt. Großer Unterschied.«
»Du deine auch. Wie viele Akademiker verbringen ihre Zeit mit Feldforschungen, so wie du?«
»Nicht genug«, äußerte Dani mit Nachdruck.
»Kann sein. Aber vielleicht bietet ihnen die Universität ja die Zuflucht, die sie brauchen.«
»Eine Zuflucht?«
»Nicht jeder verfügt über deine Widerstandsfähigkeit, Dani. Und verdammt wenige sind so hübsch.«
»Hübsch?« fragte Dani erstaunt. »Das glaubst du wohl selbst nicht.«
»O doch!«
»Du machst dir was vor. Ich besitze mehr als einen Spiegel. Glaub mir, was das Aussehen betrifft, kann man mich getrost als durchschnittlich bezeichnen.«
»Nun, dann unterscheidet sich unsere Sehweise«, sagte Shane. »Für mich bist du ... hinreißend.«
Dani wußte nicht, was sie darauf sagen sollte, denn er klang zweifellos aufrichtig.
Von seinem Blickwinkel aus.
Mit einem leisen Lächeln schloß Shane die Augen und überließ Dani ihren Gedanken über die erstaunliche Vielfalt der Wahrnehmungsmöglichkeiten. Er öffnete sie erst wieder, als das Flugzeug fünfzehn Minuten später landete.
Dani und Shane wurden von Juan Gelmann empfangen, einem schlanken, schwarzhaarigen Latino, der sie aus traurigen Hundeaugen hinter einer runden Nickelbrille anblickte. Er sah eher aus wie ein Grundschullehrer als wie ein Risk-Limited-Agent. Gelmann stellte ihnen seinen Kompagnon, Bill Flanders, vor.
Dani setzte ihr Fakultätstreffen-Lächeln auf und schüttelte Hände, während sie Flanders taxierte.
Er war ein kräftig gebauter Abenteurer mittleren Alters, dessen Gesicht Spuren von Sonne, Wind und Whiskey aufwies. Um seinen Mund lag der zynische Zug eines Mannes, der sein Leben damit zugebracht hat, in den menschlichen Abgründen herumzuwühlen.
Ein Windstoß wehte seine Jacke auf. Im Bund seiner Jeans steckte eine Pistole.
Dieser Knabe fühlte sich ohne Waffe offensichtlich nicht wohl. Nach allem, was Dani in den letzten Wochen durchgemacht hatte, fiel ihr Urteil über Flanders nicht mehr ganz so hart aus, wie es früher einmal der Fall gewesen wäre. Sie war bereit abzuwarten, ob er sich wirklich als ein so sturer Haudegen herausstellte, wie er erschien.
»Nett, Sie kennenzulernen«, wandte er sich an Dani.
Er sprach mit dem leicht verwaschenen Südstaatenakzent eines Mannes, den es schon vor langer Zeit vom heimatlichen Texas an die Westküste verschlagen hat.
Dani hatte erwartet, ignoriert oder mit der üblichen männlichen Überheblichkeit von oben bis unten gemustert zu werden. Von seiner überraschenden Freundlichkeit war sie sehr angetan.
Flanders wies über die Landepiste auf einen wartenden Lieferwagen. Von außen sah er aus wie eine dreckige Schrottkarre mit stark getönten Scheiben.
»Ihre Kutsche erwartet sie, Ladies und Gentlemen«, lud er sie ein.
»Schon mal was von einer Waschanlage gehört?« fragte Shane, während sie auf den Veteranen zuschritten.
»Saubere Autos glänzen so«, erwiderte Flanders. »Das tut meinen armen alten Augen weh.«
Shane lachte und duckte sich, um hinten einzusteigen.
»Hübsch«, sagte er nach einem raschen Rundumblick. »Eine rollende Überwachungsstation.«
»Alles da, außer Satellitenfernsehen«, stimmte ihm Flanders zu. »Die verdammte Schüssel wäre zu auffällig.«
Dani stieg ein und sah, was Shane gemeint hatte. Es gab bequeme Sitze, ein Funkgerät, Ferngläser und Nachtsichtgeräte.
»Vorzeitiger Ruhestand, hm?« sagte Dani auf Geratewohl.
»Manche Gewohnheiten wird man nur schwer los«, entgegnete Flanders fröhlich.
Gelmann stieg vorne auf der Beifahrerseite ein und schlug die Tür hinter sich zu.
»Das Schöne an den Zollgesetzen ist«, setzte Flanders ihnen auseinander, »daß man eine Belohnung für die Ergreifung böser Jungs bekommt.«
»Wirklich?« fragte Dani verwundert.
»Wirklich, Ma’am. Ich verdiene jetzt etwa genausoviel wie früher, als ich noch für die Regierung arbeitete. Bloß daß der Formularkram und damit die unbezahlten Überstunden wegfallen.«
»Gute Arbeit, Juan«, lobte Shane, zufrieden, daß Gelmann Flanders ausgewählt hatte.
»Dachte ich mir auch«, erwiderte Gelmann ruhig.
Shane überflog nochmals das Innere des Lieferwagens, sah dann dessen Besitzer ein paar Augenblicke lang nachdenklich an und fällte seine Entscheidung.
»Wenn das hier ordentlich gut läuft«, sagte er zu Flanders, »könnten weitere Jobs für Sie
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