Seidenfpade
darauf in ihrem Büro weitertelefonierte, warteten Dani, Shane und Gillespie in der großen Bibliothek des Landhauses, in dem sich Risk Limiteds Washingtoner Hauptquartier befand.
Das Gebäude erstreckte sich mit würdiger Eleganz über ein großes Grundstück am Ende des Rock Creek Parks in Georgetown. Die zahlreichen Räume im Erdgeschoß waren in Büros verwandelt worden, die selbst einer subventionierten Washingtoner Denkfabrik oder einer reichen internationalen Wohlfahrtsorganisation zur Ehre gereicht hätten. Auf den anderen Stockwerken befanden sich Privatapartments, in denen Cassandra und andere Mitarbeiter der Organisation wohnten, wenn sie sich in Washington D.C. aufhielten.
Bis auf die leise Stimme von Cassandra aus dem Nebenzimmer war alles still.
»Dieses Ambiente kommt mir irgendwie bekannt vor«, sagte Dani.
Die Bemerkung war an Shane gerichtet, der auf dem Rückweg von Virginia kaum mehr als drei Worte mit ihr gewechselt hatte. Gillespie beantwortete Danis unausgesprochene Frage.
»Dies hier war das einzige Botschaftsgebäude, das Frank Lloyd Wright entworfen hat.«
»Alles klar!« Jetzt konnte sie es einordnen.
Shane sagte nichts. Seit sie die Azurmönche verlassen hatten, ignorierte er Dani.
Oder tat, als ob er sie ignorieren würde. Zweimal, als sie sich plötzlich zu ihm umdrehte, sah sie, wie er sie mit einer Mischung aus Feindseligkeit und unübersehbarem männlichem Interesse anstarrte.
Sie wußte nicht, welches von beidem sie mehr beunruhigte. Um ihre Gedanken von Shane abzulenken, blickte sie sich in Cassandras persönlicher Bibliothek um. Sie besaß die Größe eines kleinen Ballsaals. Kunstwerke und Bücher füllten den Raum fast vollständig aus.
Langsam fuhr Dani mit den Fingern über das Ende eines Holzregals. Kühl, glatt, poliert und dennoch natürlich, streichelte das Holz ihre Sinne.
»Rosenholz«, erklärte Gillespie.
»Wie bitte?« fragte Dani überrascht.
»Die Regale ...«
»... sind wunderschön!«
Dani ließ den Blick zu den aufgestellten Büchern schweifen. Sie war sofort in Bann geschlagen und vergaß die Zeit, vergaß sich selbst - ja alles, bis auf das unglaubliche, faszinierende Wissen, das sich in diesem Raum versammelte. Langsam wanderte sie zwischen den Regalen umher.
Geschichte, Kulturstudien, politische Analysen. Antike und moderne Sprachen. Ledergebundene Erstausgaben, beleuchtete Manuskripte, moderne Wälzer, Taschenbücher. Es gab alles. Und alles war auf eine subtile Weise geordnet, die Dani allerdings nicht durchschaute.
Dennoch wußte sie, daß eine solche Ordnung existieren mußte. Cassandra Redpath war eine Frau, die Verbindungen herstellte, wo andere Menschen nur Chaos sahen.
»Bemerkenswert«, sagte sie leise.
»Es ist eine Arbeitsbibliothek, keine zum Schmökern«, erläuterte Gillespie.
»Ich meinte den Geist, der all die Bücher zusammengetragen hat.«
Gillespie grinste glücklich, und Dani dachte einmal mehr, wie gut er doch aussah.
»Cassandra ist eine bemerkenswerte Frau«, bestätigte er.
»Ganz offensichtlich. Sie muß mindestens fünf Sprachen lesen können.«
Der Sergeant-Major nickte abwesend. Die Tür zu Cassandras Privatbüro war nicht ganz geschlossen, und der Großteil seiner Aufmerksamkeit galt der weichen Stimme seines weiblichen Bosses, die mit Risk-Limited-Mitarbeitern rund um den Globus sprach.
Dani schlenderte durch einen anderen Gang. Wenn man bedachte, daß sich Cassandra Redpath beruflich überwiegend mit Politik beschäftigte, so war es schon erstaunlich, welche Fülle an Büchern es gab über antike Kunst neben den Abhandlungen über Philosophie, Zivil- und Kriegsgeschichte sowie Lexika.
Islamische Ornamentalkunst, chinesische Bronzen, keltische Kunst und Manuskripte aus dem Spätmittelalter schienen ihr besonders am Herzen zu liegen.
»Einfach erstaunlich«, flüsterte Dani.
»Was ist erstaunlich?«
Erschrocken wirbelte sie herum. Shane stand weniger als eine Armlänge von ihr entfernt. Sie hatte ihn überhaupt nicht kommen gehört oder seine Anwesenheit auch nur im geringsten gespürt.
»Es überrascht mich, daß hier so viele Werke über Ästhetik stehen«, sagte Dani.
»Kunst bildet die Essenz einer Gesellschaft.«
Dani zog eine Grimasse, weil sie an ihren letzten Bummel durch die Galerien von Manhattan denken mußte.
»Wenn das wahr ist, dann stecken wir aber tief im Yakdung«, sagte sie.
Shane mußte gegen seinen Willen lächeln. Dani bemerkte es nicht. Sie hatte soeben die
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