Seidenmagd
werden wir noch brauchen. Wir müssen durch die May am Hückeshof hindurch und dann noch ein Stück durch die Heide, dann kommen wir zum Hof meiner Verwandtschaft.« Er legte seinen Arm um sie. »Ist dir kalt?«
»Nein, aber ich bin hungrig und ich ... muss mal.« Beschämt senkte sie den Kopf.
Abraham lachte und zog die Zügel an. Die Pferde schnaubten, blieben stehen. Er hob das Kind vom Kutschbock.
»Da hinter den Büschen kannst du dich erleichtern. Ich habe einen Korb mit Brot, Speck und Eiern.« Er holte den Korb aus dem Leiterwagen. Nachdem Marijke ihre Notdurft verrichtet hatte, setzte er sie wieder auf den Wagen, gab ihr eine Scheibe Brot und ein gekochtes Ei. Sie strahlte ihn an.
»Das ist wie ein kleines Abenteuer«, sagte sie verzückt.
Nach einer Weile aber wurde ihre Miene nachdenklich. »Mutter geht es nicht gut, nicht wahr?«
Abraham schluckte. Was sollte er sagen? »Wie kommst du darauf?«
»Sie ist immerzu traurig. Vielleicht, weil Anneken so oft weint. Anneken ist auch oft traurig, sonst würde sie nicht so viel weinen.«
Abraham biss sich auf die Lippe. »Deine Schwester ist noch ein Säugling, sie kann nicht sprechen, nur weinen. Und das tut sie.«
»Das weiß ich doch!« Marijke verdrehte die Augen. »Ich bin ja nicht dumm. Doch sie weint mehr als andere Säuglinge. Der Sohn von Madame Lobach ist so alt wie unser Anneken und weint nicht halb so oft.«
Abraham seufzte. »Du bist nicht immerzu bei Lobachs und weißt gar nicht, wie oft das Kind dort weinen mag.«
Marijke legte den Kopf schief. »Da magst du recht haben«, sagte sie ernsthaft.
Wieder musste sich Abraham das Lachen verbeißen. »Du bist ein wahrer Engel«, sagte er und drückte sie. »Eine Freude für deine Mutter und mich.«
Schon bald erreichten sie den Scheutenhof. Freudig begrüßte sie der Hofherr und führte sie in die Halle. Dort loderte ein großes Feuer, der Tisch war reichlich gedeckt.
»Setzt Euch zu uns und erzählt, was vor sich geht. Können wir auf Frieden hoffen?«, fragte Isaak Scheuten und schenkte Abraham einen Becher Würzwein ein.
»Frieden?« Abraham nahm einen großen Schluck Wein. »Ich fürchte, nein.«
Kapitel 28
Catharina sah wie gebannt aus dem Fenster der Kutsche. Der Wagen schien gefährlich zu schwanken, als sie den Hügel hinunterfuhren. Immer wieder kamen sie an Bachläufen und kleinen Seen vorbei, fuhren durch Täler und über Höhen. Der Himmel schien kleiner zu sein als am flachen Niederrhein.
Frieder saß ihr gegenüber, das rechte Bein über das linke geschlagen, und strich sich über das glatt rasierte Kinn. Er ließ, so meinte Catharina, den Blick nicht von ihr. Das Gefühl, so betrachtet zu werden, empfand sie als unangenehm. Und doch löste es auch ein seltsames Kribbeln in ihr aus.
Bildete sie es sich ein, oder hatte sich sein Blick verändert?Es schien nicht mehr nur Neugierde zu sein, sein Blick war weicher geworden, meinte sie.
»Es sieht so anders aus. Die Landschaft – so abwechselungsreich.«
»Gefällt Euch das besser als bei uns?«
»Für die Pferde scheint es beschwerlicher zu sein.« Catharina seufzte. »Und wie machen die Bauern das hier? Kann man Felder auf Hängen und Hügeln bestellen?«
Frieder lachte. »Wartet ab, bis ihr die Terrassengärten von Sanssouci gesehen habt.«
»Dort, wo der König residiert? Darf man dort hin?«
»Es ist ein großer Park. Ich denke, Potsdam wird Euch gefallen.«
»Ist die Stadt so prächtig wie Hannover?«
Frieder überlegte. »Sie ist auf eine andere Art und Weise prächtig.«
Wieder schwankte die Kutsche, und Catharina musste sich festhalten. »Ich bin froh, wenn wir endlich da sind. Meine ich es nur, oder lenkt Gerald die Kutsche nicht ganz so geschickt wie Heinrich?«
»Es liegt zum Teil an der Beschaffenheit des Weges, aber andererseits ist Gerald kein Kutscher, sondern mein Kammerdiener.« Auch Frieder musste sich nun festhalten. »Ich werde mich nach einem neuen Kutscher umhören müssen.«
Catharina senkte den Kopf, der Gedanke an Heinrichs Tod schmerzte sie noch immer. Wie es wohl Thea dort oben auf dem Kutschbock ergehen mochte? fragte sie sich. Gerald hatte der alten Frau wohl eine Lederdecke gegeben, doch dennoch war es dort sicherlich um einiges frischer und windiger als im Inneren der Kutsche.
Der Juni war zu feucht und kühl gewesen, jetzt hofften alleauf einen warmen August. Doch bisher erfüllten sich diese Wünsche nicht. In der Früh, als sie losgefahren waren, hatte es genieselt. Der Himmel war
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