Seidenmagd
bedeckt, die Sonne ließ sich nur erahnen. Es war grau und trüb, fast schon wie im Herbst.
Wieder änderte sich das Bild am Wegesrand. Die Wälder wichen zurück, Felder und Gärten waren zu sehen. Überall wurde gearbeitet. Die Menschen, so fand Catharina, sahen nicht anders aus als bei ihnen zu Hause. Sie musste über ihren Gedanken lachen. Warum sollten die Bauern auch anders aussehen?
Als sie durch das Tor in die Stadt einfuhren, konnte sich Catharina vor Staunen kaum halten. Frieder hatte nicht übertrieben, noch nie hatte sie so etwas gesehen. Die Straßen waren allesamt gepflastert, die Häuser höher und prächtiger als die Gebäude in Krefeld. Sie fuhren auf den Marktplatz, auf dem eine riesige Steinsäule stand.
»Das ist der Obelisk«, erklärte Frieder ihr.
»Wozu dient er?«
Frieder lachte. »Er soll den römischen Charakter des Platzes unterstreichen. Unser König ist fasziniert von anderen Kulturen und Ländern. Das Rathaus ähnelt dem Rathaus in Amsterdam. Seht Ihr die Kuppel? Die vergoldete Figur ist Atlas, er trägt die Weltkugel.«
Der Markt war größer als der Platz in Hannover, stellte Catharina fest. Sie konnte die Stadtwaage sehen. Langsam lenkte Gerald die Berline durch die Straßen. Es herrschte viel Betriebsamkeit, obwohl bald die Dämmerung einsetzen würde.
Immer wieder sah Catharina Soldaten, die durch die Straßen marschierten, doch französische Uniformen konnte sie zu ihrer Erleichterung nicht entdecken.
»Es gibt«, rutschte ihr heraus, »gar keine Franzosen hier.«
»Natürlich nicht! Das würde unser König nicht zulassen.« Frieder sah sie amüsiert an.
Sie spürte das Blut in ihre Wangen steigen, senkte verlegen den Kopf. »Es sind zu viele neue Eindrücke für mich. Verzeiht meine Dummheit. Natürlich gibt es hier keine Franzosen.«
»Ich kann mir vorstellen, dass die Eindrücke vielfältig und ungewöhnlich sind. Aber gleich haben wir unser Haus erreicht. Es liegt im Holländischen Viertel, zwei Straßen von hier.«
»Die Stadtmauer«, fragte Catharina zögerlich, weil sie nicht schon wieder etwas Dummes sagen wollte, »wirkt anders als in Krefeld oder auch Hannover. Niedriger.«
»Das stimmt.« Frieder nickte anerkennend. »Ich hätte nicht gedacht, dass es Euch auffällt. In Krefeld wurde die Stadtmauer errichtet, um die Stadt zu schützen, in Hannover ebenso. Aber Potsdam ist eine Garnisonsstadt, es wimmelt von Soldaten. Wall und Holzpalisaden wurden errichtet, um die Soldaten daran zu hindern zu desertieren. Später wurde eine Mauer aus demselben Grund errichtet.«
Catharina riss die Augen auf. Wieder lächelte Frieder wohlwollend.
Die Kutsche hielt mit einem Ruck an.
»Wir sind da.« Frieder riss die Tür auf, sprang heraus und hielt Catharina die Hand hin. Dankend ließ sie sich von ihm aus der Kutsche helfen.
»Hier wohnen wir.«
Erstaunt blickte Catharina die Straße entlang. Rote Backsteinhäuser, die sich glichen wie ein Ei dem anderen, standen dicht an dicht. Es gab keine Hofeinfahrten. Gab es Höfe undGärten hinter den Häusern? fragte Catharina sich. Eckige Giebel mit einem Fenster schlossen die Bauten ab.
Frieder öffnete die Tür. Es roch muffig in der Diele, und Catharina zog den Kopf ein, so niedrig erschien ihr das untere Geschoss.
»Hier stehen keine Webstühle, deshalb sind die Räume auch nicht so hoch, wie Ihr es gewohnt seid«, erklärte Frieder. »Rechts liegt die Stube. Oben sind die Schlafgemächer. Neben der Küche ist ein kleiner, aber komfortabler Salon.«
Das Treppenhaus, stellte Catharina fest, war breiter, und die Stufen waren nicht so steil wie bei ihr zu Hause. Das Geländer war geschnitzt, die Wände waren vertäfelt.
Die Küche war klein, aber ausreichend. Sie öffnete die Tür und kam in einen schmalen Hof, Backsteinmauern grenzten das Grundstück von den anderen ab. Der Garten war recht schmal, aber bot genügend Platz für Kräuterbeete und einen Schuppen. Sie überlegte, was sie hier anpflanzen und ziehen könnte, und entdeckte einen Apfelbaum hinter dem Schuppen.
Wo, dachte sie erstaunt, ist der Stall? Und wie kommen die Pferde dorthin? Sie können doch nicht durchs Haus geführt werden.
»Die meisten unserer Nachbarn halten Hühner«, sagte Frieder und zeigte auf den Schuppen. »Aber wir werden nicht dauerhaft hier wohnen.«
»Und die Pferde?«
»Die Pferde kommen in einen Mietstall am Rand der Stadt. Dort wird auch die Kutsche zu stehen kommen, sobald Gerald ausgeladen hat.«
Sie gingen zurück ins Haus.
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