Seidenmagd
ihrer Mutter, er hätte sie aufgehalten und ersparte ihr so die Erklärungen. Er hatte ihr zugezwinkert. Ihr Herz pochte, als sie daran dachte. Er hatte sie wiedererkannt.
Natürlich, sei keine Gans, du hast den ganzen Nachmittag dort genäht, abgesteckt und geschneidert.
Schließlich fiel sie in einen unruhigen Schlaf. In ihrem Kopf spielten die Melodien der beiden Musiker einen fröhlichen Reigen.
Kapitel 5
»Wir haben Glück gehabt«, sagte Engelbert vom Bruck und zog an seiner Pfeife.
»Ihr meint, weil die Preußen immer noch nicht geschlagen wurden?« Auch Johann von Beckerath stopfte seine Pfeife.
Seit einiger Zeit versammelten sich abends hin und wiedereinige Männer bei Abraham ter Meer, um über die politische Lage im Land und in der Stadt zu diskutieren. Es war nicht so einfach, diese Treffen durchzuführen, solange ter Meers und andere Bürger der Stadt Franzosen im Quartier hatten. Deshalb gaben sie an, aus der Bibel und anderen religiösen Texten zu lesen.
An diesem Abend konnten sie sich jedoch ohne Probleme treffen, denn die Franzosen feierten ausgelassen Karneval. Ein Jahrmarkt war auf dem vereisten Platz vor der katholischen Kirche aufgebaut worden, Gaukler und fahrendes Volk trieben allerlei Schabernack, mobile Garküchen waren aufgebaut worden und boten Fettgebäck und andere Schmausereien an.
»Es ist Sonntag«, sagte Johann von Beckerath, »der heilige Tag, an dem alles ruhen soll. Und dennoch wird gefeiert, gesungen und getrunken, und das in aller Öffentlichkeit.«
»Die Franzosen nehmen jede Gelegenheit wahr zu feiern.« Engelbert vom Bruck schmunzelte.
Er war erst vor einem Jahr nach Krefeld gekommen und versuchte hier geschäftlich Fuß zu fassen. Zwar war er kein Mennonit, doch mochte er die Gespräche und auch die offene Art seiner neuen Bekanntschaften. Er teilte Abrahams Interesse an Naturwissenschaften und Literatur, konnte mit Johann trefflich Schach spielen und mit Peter Lobach, der auch dem Freundeskreis angehörte, wunderbar über Politik streiten.
»Das mag sein. Ich wünschte mir nur«, sagte Lobach nun, »dass sie über das Feiern die Kämpfe vergessen würden. Hier am Niederrhein ist ein ständiges Auf und Ab, ein Kommen und Gehen. Sie halten Winterquartier, tauschen aber ihre Quartiere, als wären es Spielkarten, verlegen lustig Truppen,als wären es Marionetten. Und die Bevölkerung leidet darunter.«
»Der Herzog von Braunschweig hätte die Schlacht am Kloster Kamp gewinnen können«, meinte Johann von Beckerath. »Er hatte Pech. Dummerweise ist die Vorhut zu unvorsichtig gewesen und hat die französischen Truppen im Kloster aufgeschreckt. Hätten die Franzosen nicht geschossen, wäre der Herzog bis in das Lager der Hauptstreitmacht marschiert und hätte sie vernichtend geschlagen.«
»Hätte, wäre, könnte ...« Abraham lächelte. »Es ist so, wie es ist. Die Frage ist nur, was wird aus der Stadt? Was wird aus Krefeld?«
»Das frage ich mich auch«, sagte Esther te Kamp. Sie stand auf und schloss die Tür, die von der Küche in die Stube führte. »Was wird aus Krefeld?« Sie seufzte und setzte sich wieder auf die Bank neben den Ofen.
Anna lud ihre Freundinnen ein, wenn Abraham seine Freunde zu sich bat. Während die Männer in der Stube um den Kamin saßen und Wein verkosteten, saßen die Frauen in der Küche am Ofen, tranken Würzwein oder Dünnbier, nähten und stopften.
»Ich kann das einfach nicht mehr hören«, entschuldigte sich Esther.
Manchmal ließen sie die Tür auf und lauschten den Gesprächen der Männer. Besonders wenn, wie im Herbst, Schlachten in der Nähe ausgetragen wurden. Politik war nicht ohne Interesse für die Frauen der Bürgerschaft, aber irgendwann kam der Punkt, da wollten sie über die Dinge reden, die sie beschäftigten.
In diesem Winter waren Brennstoffe ein wichtiges Thema. Die Franzosen hatten die Einfuhr von Kohlen von der rechtsrheinischenSeite verboten. Dort aber gab es gute Kohle, während linksrheinisch fast nur schlechte und feuchte Braunkohle im Handel war. Abgelagertes Holz war selten und auch teuer; Bäume zu schlagen war unter Strafe verboten. Auch die hohen Preise für Fleisch und Gemüse am Markt beschäftigten die Frauen sehr.
Esther hatte Catharina mitgenommen, während Henrike die Mädchen zu Hause hütete.
Noch zweimal waren Esther und Catharina bei den von der Leyen gewesen, um Kostüme abzuliefern und Änderungen vorzunehmen.
Der Luxus der von der Leyen raubte Catharina die Luft. Es fiel ihr schwer, in
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