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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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wollen, als ob es sich um die Verheimlichung abscheulicher Taten handelte.
    Er schien immer steifer, immer starrer zu werden, fern und fremd. Andererseits äußerte er sein Anliegen mit großer Hartnäckigkeit. Seine Gründe waren sehr sachlich und hingen mit der Politik zusammen. Politik ist nichts für junge Mädchen, sagte Opa streng, als ich ihn um eine Erklärung bat. Das ärgerte mich, denn schließlich werden auch junge Mädchen in die Politik hineingezogen. Amos hätte mir eine Antwort gegeben; aber lieber hätte ich mir die Zunge abgebissen, als ihn zu fragen. Ich sprach kaum noch mit ihm. Manchmal eilte ich an ihm vorbei und achtete so wenig auf ihn, als sei er ein Tisch oder ein Stuhl. In Wirklichkeit spielte ich nur Theater. Ich fühlte mich von ihm verraten. Und ich war so wütend, daß ich nicht einmal mir selbst gegenüber eingestand, wieviel mir durch dieses Verhalten verlorenging.
    »Du liebst doch die Schweiz, Mutter«, sagte Amos. »Gönnt euch doch ein paar Wochen Erholung, solange ihr gesund seid.
    Und Iris und Lea würde die Luftveränderung guttun.«
    Sie blieben leicht verwundert, außerstande, sich ernstlich Sorgen zu machen. Oma wollte die Saison nicht verpassen. Opa brauste sofort auf, aber das waren wir ja gewohnt.
    »Und das Geschäft? Soll ich alles stehen- und liegenlassen und schon wieder kuren? Lächerlich! Was sollen denn die Angestellten denken? Daß ich Gicht habe?«
    Erwachsene haben besondere Gedankenbahnen, die ihre Reaktionen diktieren. Sie sprachen alle sehr vernünftig; gleichwohl lag eine Spannung in der Luft, die mich frösteln ließ, wie eine aufkommende Übelkeit. Amos beherrschte sich, ja. Aber ich spürte eine finstere Wut, eine Gehemmtheit in ihm. Als müsse er sich mit Gewalt dazu zwingen, nicht mit der Faust auf den Tisch zu schlagen.
    Es war Ende August, die Abende wurden kühl. Im Kamin brannte Feuer; die schönen Samtvorhänge glänzten, die goldene Standuhr tickte. Was außerhalb ihrer vier Wände geschah, interessierte die Großeltern nur mäßig. Immerhin waren die Besetzung Österreichs, die Annexion des Sudetenlandes, der Einmarsch in die Tschechoslowakei keine Themen mehr, die man mit einem »Pfui!« vom Familientisch wischen konnte. Iris sorgte sich um Thomas, war blaß, hatte keinen Appetit. Auch an jenem Sonntagabend nicht, als Amos zu Besuch war und man von Politik sprach.
    »Iß, Kind!« seufzte Oma. »Magst du keine gehackte Leber?
    Iß, Leber ist gesund. Du wirst ja immer dünner.«
    »Alles, was recht ist«, sagte Opa. »Du kannst doch nicht verhungern, bloß, weil du ohne Nachricht von ihm bist. Sie werden ihn schon wieder freilassen. Er ist ein fähiger Mann.
    Sie können es sich nicht leisten, auf fähige Männer zu verzichten. Wirklich nicht. Gänzlich ausgeschlossen.«
    »O doch, sie können!« erwiderte Amos, mit Hohn in der Stimme. »Sie festigen ihr Tausendjähriges Reich. Sie machen Ordnung, sie sortieren aus. Eine richtige Wegwerfwut. Auch fähige Männer fallen durch das Sieb. Es gibt ja genug andere.
    Solche, die keine romantischen Neigungen haben… «
    Ich hatte dem Küchenmädchen etwas ausrichten müssen und kam ins Eßzimmer zurück, gerade als er das sagte. Ich erstarrte zu Eis. Iris schenkte mit rotem Gesicht Kaffee ein. Ihre Hände zitterten; Amos sah mich an der Tür stehen, drückte seine Zigarette aus und biß sich auf die Lippen. Ich drehte mich um, rannte die Treppe hinunter in den Wintergarten. Dort standen ein paar große Korbstühle. Die Luft war stickig und roch nach feuchter Erde. Einige Nachtfalter tanzten um die Lampe. Ich drückte ein Kissen an meine Brust und heulte. Ein leises Klopfen an der Glastür. Ich sah die Umrisse einer dunklen Gestalt.
    Ich zuckte zusammen, rührte mich nicht. Die Tür ging knir-schend auf.
    »Lea?« sagte Amos. »Darf ich einen Augenblick zu dir kommen?«
    »Geh weg!« zischte ich.
    Doch er schloß die Tür hinter sich und setzte sich in einen Stuhl mir gegenüber. Er war mit dem Fahrrad gekommen und hatte eine kastanienbraune Hose an, dazu ein offenes Hemd.
    Die Jacke trug er über der Schulter, seine Ärmel waren aufge-krempelt. Ich sah die Muskeln seiner Arme, lang, geschmeidig, glatt. Krawatten trug er nur im Geschäft, und sie waren immer aus Seide.
    Ich wandte das Gesicht ab. Er sollte nicht sehen, in welchem Zustand ich war.
    »Ich will nicht mit dir reden.«
    »Lea, es tut mir leid. Kannst du mir verzeihen?«
    Schweigen.
    »Lea, bitte.«
    Die Art, wie er das sagte, ließ mich

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