Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
aufhorchen. Ich warf ihm einen Seitenblick zu. Ich merkte plötzlich, wie mager Amos geworden war. Magerer als noch vor zehn Tagen, als er das letzte Mal bei uns zu Besuch gewesen war. Seine Wangen waren ausgehöhlt. Die Narben zeichneten sich darauf ab, wie helle, weiße Fäden, bis zu den Lippen.
    »Ich hätte das nicht sagen sollen«, gestand er. »Aber du kennst mich ja. Iris nimmt es mir nicht übel. Ich mag es nicht, wenn alle so selbstgefällig tun. Sie werden mit der Gefahr nicht fertig, indem sie den Kopf in den Sand stecken!«
    Schweigen. Seine Augenwinkel zuckten. Plötzlich war ich ihm nicht mehr böse. Nicht wegen dieser und auch nicht wegen der anderen Sache vorher. Ich hatte mir alles mögliche eingere-det. Die Erkenntnis erwachte plötzlich in mir, daß ich es gewesen war, die ihn verraten hatte. Die Kluft, die uns trennte, hatte ich mit eigenen Händen erweitert. Was sich damals hinter der Tür abgespielt hatte, war ohne Bedeutung. Ich hatte mich selbst verrückt gemacht. Für nichts. Ich sagte sehr ruhig:
    »Ist das wahr, Amos? Glaubst du wirklich, daß sie ihn um-bringen?«
    Ich spürte, wie er die Frage in seinem Kopf drehte und wendete. Schließlich hob ein schwerer Atemzug seine Brust.
    »Ich weiß es nicht, Lea. Keiner weiß es. Wir bekommen nur spärliche Nachrichten.«
    »Wer wir?« forschte ich stirnrunzelnd.
    Er verzog leicht die Lippen.
    »Nun, da sind ein paar Leute, die herausfinden wollen, was da eigentlich vor sich geht. Irgend etwas liegt in der Luft.«
    »Du weißt Dinge, die du uns nicht sagen willst.«
    Er starrte mich an, bevor er ernst nickte.
    »Kein Mensch hat das bemerkt. Nur du.«
    »Nur ich?«
    »Ja. Du bist sehr klug, Lea. Und ich bin ein Neurotiker.
    Komm, trockne deine Tränen. Du hast ja nicht einmal ein Taschentuch bei dir. «
    Er gab mir seines, das nach Tabak roch. Ich putzte mir die Nase. Es war fast wieder wie früher. Nicht ganz, nein, das war unmöglich; eine Drohung hing über uns wie der Schatten eines Berges. Die Angst verwirrte unsere Gefühle; wenn wir uns gehen ließen, zerbrachen wir.
    »Dann weißt du auch etwas über meinen Vater!«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Nein. Da sickert nichts durch. Hör zu, Lea. Vielleicht habe ich keine Gelegenheit mehr, es dir zu sagen. Es ist möglich, daß dein Vater nicht zurückkommt. Es wäre sogar sehr ungewöhnlich, wenn er zurückkommen sollte. An diesen Gedanken mußt du dich gewöhnen. Es kann aber auch sein, daß sie ihn freilassen. Manchmal lassen sie welche frei. Dann wird die Freude um so größer sein. Verstehst du, was ich meine?«
    Ich sah ihn fest an.
    »Doch, ich verstehe.«
    »Und noch etwas, Lea: Ihr müßt weg von hier, du und Iris.
    Und auch die Großeltern, und Tante Hannah – alle. So schnell wie möglich. Jeder Tag zählt. Ich versuche es Vater klarzuma-chen. Schon seit Wochen. Er fürchtet für sein Geschäft, sagt Sprichwörter auf: ›Was du ererbt von deinen Vätern…‹ Be-schissener Blödsinn! Das Leben ist wichtiger. Er will nichts hören, knallt mir die Tür vor der Nase zu. Du kennst ihn ja, stur wie ein Bock! Mit wem soll ich reden? Tante Hannah kann nicht bis drei zählen. Und Mutter glaubt mir nicht. Kein einziges Wort. Sie sagt, aber Amos, warum verbreitest du solche Gruselgeschichten? Wir haben doch Gesetze. Sie sieht die Dinge nicht wirklich. Sie kann es sich einfach nicht vorstellen.
    Iris, ja, Iris versteht mich. Ich habe ihr einiges gesagt. Nicht alles, natürlich, aber manches. Ich will ihrer Panik keinen Vor-schub leisten. Vielleicht gelingt es ihr, die Eltern zur Vernunft zu bringen. Aber sie hat nur noch wenig Zeit.«
    »Was heißt wenig, Amos?«
    Er schwieg. Er sah plötzlich erschreckend alt aus.
    »Amos?«
    Er seufzte.
    »Sie hat noch ungefähr einen Monat – vielleicht.«
    »Vielleicht?«
    »Es geht sogar noch davor los.«
    »Was denn, Amos? Sag mir, wovon du sprichst!«
    Er schien etwas sagen zu wollen, blickte in mein Gesicht, mit einer Art Erschrecken, und schüttelte den Kopf. Plötzlich streckte er beide Arme aus, zog mich an seine Brust. Die Bewegung war so heftig, so unerwartet, daß es mir die Luft abschnitt.
    Ich keuchte leicht, spürte die Schläge seines Herzens. Und dann nahm er mein Gesicht und zog es an seines. Und so blieben wir Gesicht an Gesicht, ohne Bewegung, eine ganze Weile lang, bis ich seine Stimme hörte, ein heiseres Flüstern an meiner Wange.
    »Du bist ein wunderbares Mädchen, Lea. Du wirst nicht sterben, nicht du. Du wirst eine berühmte

Weitere Kostenlose Bücher