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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Front, die hält jetzt. Sie ver-gasen auch Kinder, natürlich. Aber junge Mädchen nicht sofort, das muß ich Ihnen sagen. «
    Er sprach sehr eindringlich und sah ihr in die Augen dabei, als ob er ihr einen besonderen Gedanken vermitteln wollte. Das Blut stieg ihr in die Wangen. Sie nickte.
    »Ich will es versuchen. Vielleicht halte ich es aus.«
    Michaels Augen, die groß und grau und wirklich sehr schön waren, richteten sich kurz auf mich. Wir tauschten ein mattes Lächeln, bevor er sich wieder Iris zuwandte.
    »Haben Sie Geld?«
    »Nur etwas Schmuck.«
    »Verstecken Sie ihn gut. Er könnte Ihnen gestohlen werden.«
    »Wann gehen wir?« fragte Iris.
    »Sobald Sie bereit sind.«
    »Wir sind bereit«, sagte Iris.
    Der Abschied von den Großeltern war kurz. Sie befanden sich bereits in einer anderen Sphäre des Lebens, in einem Zustand der Ergebenheit. Es war gut und richtig, daß wir versuchten, unser Leben zu retten. Sie hatten nicht mehr die Kraft dazu.
    Oma sprach kein Wort, als sie uns ein letztes Mal in die Arme schloß. Sie, die stets nach Lavendel oder Nelken geduftet hatte, roch nach saurem Schweiß, nach ungewaschenen Kleidern, nach Alter. Sie flüsterte Opa ins Ohr, daß wir gingen, legte ihm den Stock in die Hand, damit er sich aufrichten konnte. Als ich ihn umarmte, begegneten sich unsere Blicke, und ein Schauder packte mich; er hatte ein Gesicht wie das Schicksal selbst, jenseits von Schmerz, jenseits von Verzweiflung. Er legte die Hand auf meine Stirn, murmelte uralte Worte, die ich nicht verstand. Er sei müde, sagte er dann, er wolle sich hinlegen. Er war noch nicht tot, aber die Fähigkeit zu leben hatte ihn in dieser Nacht verlassen.
    Im letzten Augenblick gab Tante Hannah Iris einen Armrei-fen mit einem komplizierten Verschluß, aus Gold. Nur für den Notfall, schärfte sie ihr ein, es sei ein Erbstück. Sie schluchzte dabei; eine apfelgesichtige Frau mit hohlen Wangen und einem kleinen, zusammengekniffenen Mund. Alle Zwistigkeiten waren vergessen. Iris sagte, sobald es ginge, würden wir sie nach Amerika holen.
    So machten wir uns auf den Weg. Wir trugen gestopfte Strümpfe und ausgetretene Schuhe. Den Schmuck hatte Iris in den Kleidersaum genäht. Ihr Mantel war schwarz, und sie hatte ihr Haar zu einem dicken Zopf geflochten, der zwischen ihren Schultern aufschlug, während sie ging.
    Jene Zeit ist mir als wirre Folge von Tagen und Nächten in Erinnerung. Die Straßen entlang zogen endlose Flüchtlingsko-lonnen, mit Taschen und Koffern bepackt. Frauen mit kleinen Kindern, alte Menschen, Mütter, die von ihren Kindern getrennt worden waren, Kinder, die noch kleinere Geschwister auf dem Rücken trugen. Wir schleppten uns an zerbombten Dörfern, niedergebrannten Häusern und verwüsteten Kornfel-dern vorbei. Unsere Strümpfe hatten Löcher, Zehen und Fersen sahen hervor, blutige Blasen machten jeden Schritt zur Qual.
    Die Müdigkeit schwappte bleiern in uns. Krämpfe durchzuck-ten die Muskeln unserer Hüften und Beine. Die glühende Sonne starrte herab wie ein zorniges Auge. Unsere Kleider juckten, der ganze Körper klebte vor Schweiß. Aber wir liefen; unsere Füße liefen. So kamen wir vorwärts. Iris hatte oft Kopfschmerzen; sie wurden nicht besser. Manchmal wurde sie aschfahl im Gesicht; dann ruhte sie eine Weile im Schatten oder setzte sich an den Straßenrand. Michael war voller Fürsorge und Geduld.
    An Yashas stumme Gegenwart gewöhnte ich mich. In seinem verklebten Haar saßen Fliegen; ich war es, die sie wegscheuch-te; er selbst nahm von ihnen keine Notiz.
    Wir hatten Glück; wir wurden nur einmal bombardiert. Zwei Stukas griffen im Tiefflug an; die Flüchtlinge rannten schreiend in Deckung. Später lagen Koffer und Taschen über die Landstraße verstreut, Verstümmelte wälzten sich in ihrem Blut, stöhnend, brüllend. Ich will vergessen, was ich gesehen habe.
    Warum tun menschliche Wesen einander so etwas an? Ein anderes Mal zog ein starkes Gewitter auf; ein Regenguß klatschte auf den Asphalt, weit und breit gab es keinen Baum, der Schutz spendete. Wir waren bis auf die Knochen durchnäßt.
    Yasha erkältete sich; fieberte, hustete. Es kam vor, daß wir auf einen Pferdekarren steigen konnten, aber die Bauern verlangten Geld dafür, fast immer unverschämt viel. Einmal hielt ein Auto vor uns. »Steigt ein!« Ein Gutsbesitzer hatte uns bemerkt, als wir erschöpft am Straßenrand lagerten, und Mitleid empfunden.
    Er hatte ein krankes Herz, deswegen war er nicht an der Front.
    Dieser Mann

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