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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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den Dek-kel hoch; die letzte Kerze, die noch brannte, warf ihren Schein in das aufglänzende Innere des Kastens. Er war mit Plüsch ausgeschlagen, und der Plüsch war türkisblau. Die Geige selbst war dunkel, glänzend wie Chinalack. Yasha ergriff Geige und Bogen, hielt das Instrument mit einer Ehrfurcht und Liebe, als wäre es ein lebendiges Wesen. In dem Geigenkasten befand sich ein weißes, erstaunlich sauberes Tuch. Yasha legte das weiße Tuch über den dünnen Arm und klemmte die Geige unter sein Kinn. Ganz plötzlich geschah eine Verwandlung mit ihm; es war eine Veränderung, die sich von innen her auf sein bleiches Gesicht übertrug; sein Griff nach dem Bogen war fest und gleichzeitig dem Griff eines Liebenden ähnlich, der die Finger seiner Geliebten zum ersten Mal in seine Hand schließt. Mit einer Bewegung, selbstsicher und zärtlich, ließ er den Bogen über die Saiten gleiten. Mein Körper erschauerte, als die Klän-ge emporschwebten, volltönend, eindringlich, jubelnd wie die Lerche in morgendlicher Frühe. Yasha spielte das Violinkon-zert von Max Bruch. Das Adagio, das alle Traurigkeit und Liebe dieser Welt in einem einzigen melodischen Bild ver-schmilzt. Yasha lächelte jetzt, die Augen halb geschlossen.
    Sein Lächeln war das eines glücklichen, träumenden Kindes.
    Die Musik sprach von Liebe, vom bleibenden Leben. Sie flü-
    sterte uns zu, daß wir entwicklungsfähig waren. Weil Gut und Böse in uns verknüpft waren, wie Seiden- und Wollfäden zu einer Decke verwebt, wie Tag und Nacht, wie Frost und Wär-me. Irgendwann würde der Fluch verklingen, die uralte Blutspur trocknen. Nicht heute und nicht morgen, vielleicht erst in Jahrtausenden. Wir waren noch Fötusse im Schoß der Mensch-heitsgeschichte: unvollendet, ungeboren. Die Geige jedoch sang von Hoffnung und Trost, von Auferstehung. Sie führte uns durch Finsternis und Schmerz, dem Licht entgegen.
    Und später, Hanako, da blies Oma die Kerzen aus; die Totenwache war beendet. Für mich würde sie ewig dauern, aber das wußte keiner. Der Morgen kam, mit klarem Himmel, tau-nassem Fallobst und reifenden Ähren. Der Wind wehte aus Westen; über Danzig flackerten Explosionen. Sie schienen diesmal sehr nahe. Yasha schlummerte auf der Matratze. Den Geigenkasten hielt er an sich gepreßt, wie ein Kind, das sein Spielzeug mit ins Bett genommen hat. Ich fragte Michael, warum Yasha keine Silbe sagte. Jetzt, als sein Bruder schlief, sprach Michael darüber. Und wieder erkannte ich diesen ganz besonderen Ton, sehr belegt, sehr dumpf und verhalten, ein Ton, der jede Erregung bezwang.
    »Nachdem wir unser Haus verloren hatten, versteckten die Nachbarn meiner Eltern uns in ihrer Wohnung. Sie wurden denunziert. Als die Soldaten Yasha wegführen wollten, schrie Mutter, das ist nicht mein Sohn. Die Nachbarin sagte, er sei ihr Neffe, der bei der Frau Professor Geigenstunden nahm. Beide Frauen hatten das so abgemacht. Yasha war verboten worden, zu widersprechen. Einzig und allein er selbst weiß, was er gelitten haben muß; er, der an seinen Eltern so hing! Die Soldaten forschten nicht weiter. Sie hatten es eilig: Der Lastwagen wartete. Meine Mutter stürzte auf der Treppe, brach sich den Fuß-
    knöchel. Mein Vater half ihr, sich aufzurichten. Sie versetzten ihm Kolbenschläge, traten ihn mit Füßen. Er steckte die Schlä-
    ge ein, kümmerte sich um meine Mutter, beschmierte sie mit seinem Blut. Der Lastwagen hatte ein Verdeck, und es waren an jenem Nachmittag etwa dreißig Grad im Schatten. April ist manchmal ein sehr warmer Monat. Unter das Verdeck waren Menschen gepfercht; dicht aneinandergepreßt, hockten sie dort oben. Die Nazis stießen meine Eltern dazu. Der Wagen fuhr ab
    – ohne Yasha. Seitdem spricht er nicht mehr. Er lebt in einer anderen Welt. Manchmal denke ich, sie ist viel schöner als unsere… «
    Michael senkte die Augen und schwieg. Noch in seiner Schwäche wurde Opa auf einmal von großer Nervosität befallen.
    »Wie, jetzt haben sie Simon in ein Lager gebracht? Die arme Elsa auch? Ach Unsinn! Nachher kommt es ja darauf an, wieviel Schinderei man aushält. Sie sind doch nicht für Schwerar-beit gemacht. «
    Michael hob langsam die Augen. Seine Lippen zitterten, wie kurz vor dem Weinen.
    »Sehen Sie, Herr Linder, es ist nicht ganz so, wie Sie glauben. Die Nazis bringen die Juden nicht in Arbeitslager, nein.
    Sie werden in versiegelten Viehwaggons abtransportiert, in Gaskammern vergast und dann in Krematoriumsöfen verbrannt.
    Sie haben diese

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