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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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wirkte müde und traurig. Warum war die polnische Abwehr so schlecht informiert gewesen? Welche Rolle spielten die Russen? Es ist Polens Unglück, sagte er, daß es zum Schlachtfeld geworden ist, und unser Verhängnis, daß wir dafür zu bezahlen haben. Das Korn reifte auf den Feldern. Bald kam die Erntezeit. Wer würde die Arbeit tun? Die Menschen müssen zerstören und töten, sagte er, das liegt ihnen im Blut.
    Der Wagen lief gut; an diesem Tag kamen wir schnell vorwärts. Der Pole verlangte kein Geld von uns. Wir faßten neuen Mut. Doch am gleichen Abend brach Iris zusammen: Kopfschmerzen, hohes Fieber. Sie phantasierte. Bauern gaben uns Unterkunft. Zwei armselige Zimmer. Zerbrochene Fenster-scheiben, mit Lumpen abgedichtet. Matratzen, die nach Urin stanken. An der Wand klebten Fliegen. Das Wasser, draußen in einem verrosteten Trog, wimmelte von Würmern. Die Männer schwangen die Mistgabeln, arbeiteten auf dem Roggenfeld. Wir aßen ein Gemisch aus Schweinekartoffeln und Rüben. Die Sonne brannte, im Zimmer erreichte die Temperatur gewiß vierzig Grad. Iris lag wach, die Augen vom Fieber verschleiert, die Wangen glühend heiß, wie eingetaucht in den Gestank. Ihr Haar klebte an den nassen Schläfen. Ihre schiefgetretenen Schuhe standen neben dem Bett, und es rührte mir das Herz, hinzusehen. Als am zweiten Tag keine Besserung eintrat, schlug ich Michael vor, die Reise ohne uns fortzusetzen.
    »Sie hat diese Kopfschmerzen schon lange. Sie wird ein paar Tage krank liegen und dann wieder gut auf dem Damm sein.«
    Michael war zunächst nicht einverstanden.
    »Es wäre das Unklügste, sie hierzulassen. Es ist gegen jeden gesunden Menschenverstand. «
    Ich erinnerte ihn an das Versprechen, daß er seiner Mutter gegeben hatte.
    »Keine Gewissensbisse, Michael! Halten Sie sich nicht länger auf! Denken Sie an Yasha, nicht an uns.«
    Wir standen im Hof, bis zu den Knöcheln im Schlamm. Yasha lehnte an einem schiefen Zaun, an dem Wäsche trocknete.
    Aus seiner Nase lief durchsichtiger Schleim. Er rührte sich nicht. Sein Kopf war klein und schmal, und beide Hände lagen auf dem Geigenkasten.
    »Es wird mir schwerfallen, nicht an Sie zu denken«, erwiderte Michael dumpf.
    Um ein Haar hätte ich jetzt geheult. Ich fühlte mich stark und elend zugleich. Ich sagte:
    »Ich habe keine Angst. Amos hält seine Hand über mich.«
    Einen Atemzug lang teilten wir die gleiche Bestürzung; ich, weil ich es gesagt hatte, und er, weil er es hören mußte. Unklare Empfindungen verwirrten uns beide, bis er schweigend nickte; ich spürte die Welle mitfühlender Zärtlichkeit, die ihn erfaß-
    te. Wir sahen einander an. Und auf einmal vollzog sich die Verwandlung: Durch Michaels Gesicht schimmerte ein anderes Antlitz, kühn und spöttisch, mit brauner Haut und blitzenden Zähnen. Die Vision zuckte auf und verschwand. Zurück blieb eine Mattigkeit, ein plötzlicher Mangel an Kraft; eine Traurigkeit, aber auch eine Beruhigung. Unser getauschter Blick war eine Andeutung davon, eine Wohltat und vielleicht ein Versprechen.
    Michael gab mir die Adresse seiner Verwandten in New York. Sie würden für uns bürgen. Er hoffte jedoch, daß wir uns in Kaunas wiedersahen. So müde und kraftlos Iris war, wir durften keine Zeit verlieren. Japan hatte bereits 1936 den Anti-Komintern-Pakt mit Deutschland geschlossen. Wenn die drei baltischen Staaten Sowjetrußland beitraten, würde der japanische Konsul keine Visa mehr ausstellen dürfen.
    Es geschah, wie ich es vorausgesehen hatte: Nach ein paar Tagen flauten Iris’ Kopfschmerzen ab. Sie war sehr mager geworden; ihre Lippen waren trocken, die Augen lagen in dunklen Höhlen. Wir waren von Flöhen zerstochen, unsere Kleider grau vor Schmutz und Schweiß.
    Die Bauern hatten uns das letzte Bargeld aus der Tasche gezogen. Iris war sehr schwach; wir kamen nur langsam vorwärts.
    Es dauerte zwei Tage, bis wir die Grenze zu Litauen erreichten.
    Die Russen ließen die Juden durch; sie wußten, daß sie vor den Nazis flohen und in ein anderes Land emigrieren wollten. Das ganze Gebiet stand im Zeichen des Krieges; wir kamen an Befestigungen und Bunkern vorbei, an Arsenalen, Depots und Kasernen. Kaunas – in polnischer Sprache Kowno – liegt am Njemen-Fluß. Eine ruhige Industriestadt mit düsteren Reihen-häusern und rechtwinkligen Straßen, von Soldaten, Bettlern und Flüchtlingen verstopft. An öffentlichen Gebäuden, Geschäften und Parkanlagen waren Schilder angebracht: »Für Juden verboten.« In Kaunas

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