Seidentanz
sie ein klassisches Japanisch, frei vorn Tokioter Modejargon. Das – und mein frischgebackener persönlicher Ruhm – bewirkten, daß ich mich arrogant verhielt.
Doch das änderte sich bald, da wir im gleichen Zimmer schliefen. Und binnen kürzester Zeit war ich von seiner Elektronik fasziniert.
Vater und Sohn halfen der Mutter im Haushalt. Die groben Arbeiten verrichtete eine Putzfrau, die dreimal in der Woche kam. Ich stammte aus einer Familie, wo der Vater keinen Finger rührte, und staunte, wenn Onkel Takeo mit dem Staubsau-ger durch die Zimmer ging und sämtliche Papierkörbe leerte.
Kazuo hatte Freude am Kochen und stellte in dreißig Minuten eine komplette Mahlzeit auf den Tisch. Nach einer gewissen Zeit kam ich mir lächerlich vor, mit hängenden Armen dazu-stehen, und suchte irgend etwas, was ich tun konnte. Ich begann damit, daß ich in regelmäßigen Abständen alle Schuhe aus dem Schrank nahm und sie vor den Eingang stellte, um sie zu putzen.
Tokio war eine andere Welt, ein Kaleidoskop schillernder Farben und verwirrenden Lärms. Und obwohl ich mir in den ersten Wochen wie ein verlorener Außenseiter vorkam, war ich nach einer gewissen Zeit kein Schiffbrüchiger mehr. Miwa, der heilige Berg, der Iwakura und die Schlange waren weit weg.
Hatte es sie wirklich gegeben?
Die Schule war ein Übel, das ich in Kauf nahm. Die Lehrer zeigten Einsehen. Die Mitschüler waren blasierte Kinder aus wohlhabendem Elternhaus. Ihre ironische Gleichgültigkeit erreichte bald, daß der ›kleine Yamabushi‹ sich lächerlich vorkam und nur den Wunsch hatte, sich anzupassen und allenfalls durch modische Klamotten aufzufallen. Ich hatte eine Kindheit verlebt, wie sie es sich nicht vorstellen konnten; schon der Gedanke daran machte mich verlegen. Daß ich zwischen Frö-
schen und Vögeln und Dachsen gelebt hatte, wagte ich nicht einmal meinen besten Freunden zu erzählen. Die hatten Com-puterspiele im Kopf.
Immerhin stellte sich heraus, daß ich in meiner Dorfschule sorgfältig in Japanisch unterrichtet worden war. Dank Hanakos Einfluß hatte ich im Schönschreiben eine Fertigkeit erlangt, die von meinen Lehrern hochgelobt wurde. Heutzutage verschwin-det diese Fertigkeit. Vergleiche ich die Schrift der jetzigen Schüler mit meiner im gleichen Alter, verwundert mich ihre Unbeholfenheit. Außerdem hatte ich viel gelesen. Meine Eltern besaßen eine große Sammlung klassischer japanischer Werke.
Verbote irgendwelcher Art hatte es bei uns nie gegeben, was die Lektüre betraf, wobei es natürlich vorkam, daß ich für besonders schwierige Werke kein Verständnis aufbrachte. Meine Lehrer waren jedoch beeindruckt, daß ich Werke von Bakin und Hideo Kobayashi, Shiga Naoyas ›Weg durch die dunkle Nacht‹, die Dramen von Chikamatsu sowie die volkstümlichen Romane von Eiji Yoshikawa gelesen hatte. Die Großstadtju-gend war eher den Mangas als den Klassikern zugeneigt, die als Pflichtlektüre den Schülern das große Gähnen entlockten.
Ich war ein Anachronismus. Aber diese Kenntnisse brachten mir ein gewisses Prestige ein; und da ich nichts von einem Streber hatte, wurde ich deswegen nicht ausgestoßen. Praktisch hatte ich gelernt, einer strengen Disziplin zu gehorchen und außerdem eine Methode zu entwickeln, um sie zu bekämpfen.
Anders ausgedrückt: Ich hatte gleichermaßen die Fähigkeit zur Disziplin und zur Rebellion, eigentlich ein typisches Merkmal der Schwertschmiede. In mir waren die Ansätze zu einer Lebensweise vorhanden, die zu innerer Freiheit führt. Aber das wurde mir erst viele Jahre später bewußt.
Als ich in den Ferien meine Eltern besuchte, kam mir alles seltsam rückständig vor. In Miwa gab es kein Kino, keine Disco und kein Schwimmbecken im Garten. Das Haus war alt und unbequem – meine Eltern ließen es bald renovieren –, und meine Mutter hatte, trotz ihrer Anmut, nichts von einer Karrie-refrau an sich. Daß sich mein Vater von ihr bedienen ließ, fand ich beschämend. Erst später merkte ich, daß es einfach ihre Art war, meinen Vater zu beschützen. Indem ihre Hände für seine Nahrung und Kleider sorgten, beschützte sie ihn. Er fühlte sich glücklich und geborgen. Akemi war die Stärkere: Sie erfüllte freudig ihre Aufgabe, nicht allein aus Pflichtgefühl, sondern weil sie ihrem Wesen entsprach. Kunihiko war – auf seine Art
– ein Träumer. Akemi war die Festung, die ihm Sicherheit gab.
In ihrer Abwesenheit kam Kunihiko sich schutzlos vor, einer Welt ausgeliefert, die er beargwöhnte:
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