Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
ohne Netz, sozusagen.
    In den Ferien half ich Vater in der Werkstatt. Ich war jetzt in der Lage, die Eisenbarren zu heben und zu hämmern. Mit dem Treiben in der Schmiede war ich aufgewachsen. Kunihiko hatte mir stets eingeschärft: ›Nur das Eisen selbst bringt es fertig, Eisen zu formen.‹
    Damals war ich zu klein, um den Sinn seiner Worte zu verstehen. Allmählich begannen mich diese Dinge zu interessieren. Aber nur in der Theorie. In Wirklichkeit wußte ich überhaupt nicht, wo ich stand. Immerhin, Kunihiko machte es sich zur Gewohnheit, zu reden, und ich hörte zu. Ich hatte im Augenblick nichts Besseres zu tun.
    Bevor Kunihiko den Ofen anzündete, wurde ein besonderes Ritual befolgt, bei dem meine Mutter anwesend war. Ihre Aufgabe bestand darin, die Glut durch das Reiben eines Stabes und eines Holzstückes hervorzubringen. Sie hielt ein Papier aus weißem Reisstroh an die Flamme und reichte es dann Kunihiko. Dieser steckte eine Kerze an, setzte einen Span aus Eschen-holz in Brand. Mit diesem Span zündete er Holzkohle an, die den Ofen heizte. Das Ritual steht in Verbindung mit unserer alten Überlieferung, die besagt, daß die Frau das Feuer auf die Erde brachte, nachdem sie es von einem Gott empfangen hatte.
    Das Reiben des Stabes und des Holzstückes wird mit dem Zeu-gungsakt gleichgesetzt. Ebenso war es Sache meiner Mutter, das Wasser aus der heiligen Quelle zu schöpfen. Um diese Aufgaben einwandfrei zu erfüllen, erhielten die Frauen in unserer Familie eine besondere Unterweisung. In der japanischen Sprache sind die Begriffe ›Feuer‹ und ›weibliches Geschlecht‹
    etymologisch verwandt. Das hängt mit dem alten Volksglauben zusammen, daß das Erz im Schoß der Erde wie der Embryo im Mutterleib wächst. Man glaubte, daß die Metalle im irdenen Mutterschoß lebendig waren, daß sie Lust und Schmerzen empfanden wie alle Lebewesen. Der Schmied mit seiner Kunst beschleunigte das ›Wachstum‹ der Metalle. In unseren Symbolen und Riten setzt sich stark dieser Gedanke an Sexualität durch. Der von einem lebendigen Urstoff ausgehende Schöp-fungsakt gleicht einer ›Geburtshilfe‹. Kunihiko sprach sehr offen von diesen Dingen. Im allgemeinen war es Brauch, daß ein Schmied vor der Arbeit fastete und enthaltsam war. Aber die Schwerter der Harada-Familie waren immer die besten, betonte Kunihiko, weil sie die männliche Kraft mit der weiblichen verbanden. Um das Schmelzen – die sogenannte ›Hochzeit der Metalle‹ – zu gewährleisten, mußte der Geschlechtsakt vollzogen werden. Mann und Frau schenkten dem Erz ihre gemeinsame Kraft, und das Werk wurde vollkommen.
    Daß Kunihiko in mir seinen Nachfolger sah, war offensichtlich. Ich jedoch hatte nicht die geringste Lust, mein Leben in einem Dorf zu verbringen, jeden Morgen den Hof zu fegen, mir blaue Flecken beim Hämmern der Eisen zu holen und die Werkstatt jeden Abend wieder pingelig zu säubern, weil es nun mal der Tradition entsprach. Das Ganze war – so mein Eindruck – weder Arbeit noch Spiel, und ich entdeckte keinen tieferen Sinn für mich in diesem Handwerk.
    Mit siebzehn Jahren hatte ich andere Dinge im Kopf. Meine Kindheit im Dorf erschien mir ungeschliffen und bäurisch. Ich wußte damals noch nicht, daß ein Mensch viele Leben lebt und alle Leben miteinander verknüpfen kann. Meine Schwester Rie studierte japanische Literatur in Kyoto und machte im Frühjahr ihr Abschlußexamen. Offiziell wohnte sie in einem Heim für Studentinnen. Mir gestand sie, daß sie einen Freund hätte.
    Sie hatte sich stark verändert, wirkte hochmütig und vernünftig. Sie sah mich an, als ob sie fähig wäre, alle Fragen zu be-antworten, die mir durch den Kopf gingen. In Wirklichkeit war nur ihr Intellekt gut ausgebildet, und an Einsicht fehlte es ihr ebenso wie mir. Sie kleidete sich modisch, um nicht zu sagen provokativ, half nur das Nötigste, zwang lustlos einige Bissen in ihren widerstrebenden Mund und beteuerte, daß sie sich zu Tode langweilte.
    ›Ich hasse die Ferien hier. Alles dreht sich nur um Vater. Für mich hat keiner ein gutes Wort übrig. Auch du nicht.‹
    ›Ich denke nach.‹
    Sie schürzte verächtlich die rotgefärbten Lippen.
    ›Das scheinst du nötig zu haben. Und was kommt dabei heraus? Nun sag es doch!‹
    ›Nicht viel‹, seufzte ich.
    Sie setzte sich neben mich; eine Mücke stach sie an der Wa-de. Sie schlug die Mücke tot und kratzte sich.
    ›Oyakôkô‹, sagte sie spöttisch. Der Ausdruck bedeutete ›Elternliebe‹ und wies die

Weitere Kostenlose Bücher