Seidentanz
meines damaligen Lebens. Sie kamen mir so vor, weil ich alles aus der Distanz sah. Die fun-damentale Gleichgültigkeit der Amerikaner machte das Leben in New York so attraktiv für mich. Ich schlug Haken wie ein verstörter Hase auf meinen Streifzügen durch die salopp gekleidete, fremde und überlaute Menge und fand das Ganze herrlich, faszinierend und nachahmenswert. Für mich stand fest: Ich wollte zurück nach Amerika, wollte mir dort ein neues Leben aufbauen.
Wieder daheim in Tokio, belegte ich die Fächer japanische Literatur und Geschichte. Daneben lernte ich Sprachen: Englisch und Französisch. Ich brachte meine Studienzeit ohne Zwischenfall hinter mich und eröffnete meinen Eltern, daß ich nach Amerika gehen würde. Kunihiko reagierte sehr einsilbig.
›Für wie lange?‹
›Vorläufig erst für drei Monate. Mit einem Touristenvisum.‹
›Und was hast du dort für Pläne?‹
Er sprach sehr ruhig, in einem Ton, der den Anschein von Gleichgültigkeit erweckte. Mein altes Zartgefühl für ihn melde-te sich auf der Stelle. Ich kämpfte dagegen an; mit diesem Ge-fühl wollte ich nichts mehr zu tun haben. Ich erklärte ihm, daß wohlhabende Nippon-Amerikaner oft Privatlehrer suchten, die ihren Kindern die japanische Sprache beibrachten.
›Und dann?‹
›Dann sehe ich weiter. Mir wurde gesagt, daß man das Visum verlängern kann. Es gibt besondere Tricks.‹
Er nickte nur, mit kalter Miene. Als wenn ein Sprung durch eine Schale ging. Er versuchte mich nicht auf seine Seite zu ziehen. Als wenn ich in seinen Augen niemand war, auf den es ernstlich ankam. Und das, glaube ich, kränkte mich am meisten. Er zog einen klaren Trennungsstrich, ich bekam das plötzlich zu spüren. Dabei stritten wir uns nicht einmal.
Abends, im Garten, sagte meine Mutter:
›Schämst du dich nicht?‹
Wir wanderten über die Trittsteine. Akemi trug einen Sommerkimono aus Baumwolle, weiß, mit einem blauen Libellen-muster. Sie hielt einen runden Fächer in der Hand. Die Sonne sank; eine warme Brise wehte. Mücken tanzten in kupfernem Licht, und im Gebüsch gurrten Wildtauben.
›Nein‹, sagte ich. (Und schämte mich doch.) ›Warum?‹
›Er hat dir vieles beigebracht. Jetzt unterbrichst du deine Ausbildung. Du enttäuschst ihn.‹
Akemi war eine beherzte Frau, die ihre Pflichten und ihre Liebe ernst nahm. Eine Frau, vor der man sich verneigte, der man zu gehorchen hatte. Das schwermütige Gefühl, das ich nie ganz los wurde, kehrte zurück. Ich antwortete:
›Die Werkstatt übernehmen? Davon war nie die Rede.‹
›Du bist sein einziger Sohn.‹
Der alte Mythos hatte sich in Tradition verwandelt, das Ritual war unabdingbar. Aber ich hatte keine Neugierde mehr.
Mein Vater war ein Träumer, die Geschichte wurde künstlich am Leben gehalten. Wozu?
›Was soll ich mit diesem Beruf? (Ich sagte nicht: Handwerk.) In der heutigen Zeit?‹
›Du kannst gut davon leben.‹
›Ich bin nicht dafür gemacht.‹
›Die Schlange hat dich geküßt.‹
Die feierliche Art, wie sie das sagte, brachte mich fast zum Lachen. Ich hatte eine völlige Ernüchterung erreicht, einen gefährlichen Punkt der Skepsis. Und doch fühlte ich Leere in mir, eine Sehnsucht nach der vergangenen Seite meines Lebens. Aber ich wollte nicht sentimental werden. Und meine Mutter besaß einen unerschütterlichen Willen.
›Ich hatte einfach einen Geruch, den sie mochte.‹
›Das mag schon sein.‹
Sie wandte das Gesicht ab. Das blauschwarze Haar betonte ihre schöne Wangenlinie. Unser Hund Jiro lebte nicht mehr.
Wir hatten einen neuen Welpen, Taro, der jetzt an mir hoch-sprang und meine Handfläche beschnüffelte. Auch er, dachte ich, mag meinen Geruch. Ich sagte:
›Von der Sache wurde zuviel Aufhebens gemacht.‹
›Das glaube ich nicht. Du warst ein besonderes Kind.‹
Sie sprach langsam und deutlich, betonte jede Silbe. Mir ging durch den Kopf: ›Paß auf, sie versucht dich herumzukriegen!‹
›Das ist lange her‹, sagte ich.
›Du trägst den Namen Harada.‹
Ich dachte, mit dieser Masche soll sie mir nicht kommen.
Solche und ähnliche Wendungen zwangen mich oft zu schroffen oder abwehrenden Erwiderungen, bestenfalls zu einem falsch ausgelegten Schweigen.
›Mein Vater hat nie ein Versprechen gefordert.‹
Sie bewegte den Fächer vor ihrem Gesicht hin und her.
›Du bist hier aufgewachsen.‹
›Warum muß ich leben, wo ich aufgewachsen bin?‹
›Fällt es dir so leicht, dich von allem zu trennen?‹
Ihre Sanftmut brachte mich
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