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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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fast aus der Fassung. Ich biß die Zähne zusammen. Das nahe Dickicht, das vertraute Murmeln des Baches, die schillernden Ziegel, die Werkstatt, aus all dem atmete etwas zutiefst Ursprüngliches. Meine Erinnerungen waren hier; in meiner Naivität hatte ich mir vorgestellt, daß ich sie in Ironie verwandeln könnte. Jetzt merkte ich, daß sie durchaus nichts Nebensächliches, sondern im Gegenteil etwas sehr Wesentliches für mich waren. Ich mußte sehen, wie ich mit dieser Erkenntnis fertig wurde. Aber sie sollte kein Hindernis für mich sein.
    ›Nein‹, sagte ich, ›es fällt mir schwer.‹
    Und so reiste ich ab: mit einem schlechten Gewissen.«
    34. Kapitel
    K unio stand auf, machte ein paar Schritte und streckte sich.
    Im Dickicht leuchtete die Sonne smaragdgrün. Eine Art pulsierendes Schweigen lag über dem Berg, erfüllt von Knistern, Murmeln und Tropfen. Der Wald atmete in einem Rhythmus, der seit ewigen Zeiten bestand, sich modifizieren, wenn auch niemals sein Wesen verändern konnte. Das Leben der unzähligen Pflanzen und Geschöpfe, die ihn bewohnten, war in jedem Windhauch zu spüren.
    »Über mein Leben in Amerika gibt es nicht viel zu erzählen«, sagte Kunio. »Es waren stumpfsinnige Jahre. Ich war unter Menschen, deren Herzen sich dem Wesentlichen ent-fremdet hatten, die hart geworden waren. Auch wir Japaner haben diese Vorliebe für Dinge, die man nach Belieben gebrauchen und verändern kann. Auch wir sind immer in Eile, immer gehetzt. Mit einem Unterschied: Wir haben nicht die Orientie-rung verloren. Nicht ganz. Wir unterliegen in geringerem Maße einer psychischen Verwirrung. Was nutzt das, werden manche sagen, wenn wir im Zeitalter der Konformität und des Profit-denkens leben, die Meere plündern und die Wälder in Müllde-ponien verwandeln? Nun, uns Japaner rettet die instinktive Erkenntnis, daß die Natur unsere Mutter ist. Eine Mutter übt Nachsicht, bis es ihr zuviel wird und sie ihre Kinder straft.
    Dann lernen wir etwas dazu, wobei es eigentlich zu spät ist.
    Wir sind ein sehr kindliches Volk. Das Spiel des Irreführens, die Kunst des Manipulierens, die uns so häufig angedichtet wird, liegt uns in Wirklichkeit fern. Wir fühlen uns als Glieder einer Gemeinschaft. Und da wir möglichst viele Freunde und möglichst wenige Feinde haben wollen, sagen wir nicht immer, was wir denken. Im Ausland, wo das Individuum große Töne schwingt, wird das häufig mißverstanden. Daneben irritiert die Pseudo-Amerikanisierung unseres äußeren Erscheinungsbildes.
    Wo ist die Tradition? fragt man sich. Gibt es sie überhaupt noch? Nun, die Tradition ist überall unter dem Talmi, sie spricht mit großer Kraft zu uns.
    Im Vergleich zu den Vereinigten Staaten ist unser Archipel eine heile Welt. Marion – meine Frau – sagte, ich nähme die Dinge zu persönlich. Ich jedoch bemerkte das, was verborgen war: den Schatten hinter der Maske. Vielleicht lag es an mir.
    Und die tausend Erklärungen, zu denen ich mich bequemen mußte, weckten in mir ein komisches Gefühl, gemischt aus Herablassung und Ungeduld – ein im Grunde unbehagliches Gefühl. Ich stamme aus einer besonderen Familie, das hinterläßt Spuren. Schon im früheren Japan fielen Schwertschmiede aus der Rangordnung, hielten nicht viel von Doppelmoral und hatten ein lockeres Mundwerk. An höchster Stelle knirschte man mit den Zähnen, schlug ihnen aber niemals den Kopf ab.
    Solche Überlieferungen prägen das Selbstgefühl. Überall, wo ich hinkam, fragte ich mich, was soll diese Pantomime? Oft hatte ich den Eindruck, ich sei irgendwie auf dem Weg zurück in jene Welt, von der ich mich gewaltsam lösen wollte.
    Plötzlich mußte ich eingestehen, daß sie mir fehlte. Ich hatte einen Blick auf ein anderes Leben geworfen und festgestellt, daß es nicht für mich taugte. War ich nach Amerika gefahren, um das zu lernen? Ein lächerliches Ergebnis für ein leichtsinni-ges Handeln. Marion und ich lebten nebeneinander her, sehnten uns nach Gesprächen und hatten beide das Gefühl, mit vollem Mund zu reden. Keiner verstand den anderen, wir machten es uns gegenseitig zum Vorwurf. Wir trennten uns, wie du weißt.
    Und als meine Mutter mir schrieb, daß sie krank sei, fuhr ich nach Japan zurück.«
    Er schwieg, und ich sagte:
    »Und jetzt bist du wieder an dem Ort deiner Kindheit, an der Ursprungssituation. «
    Er nickte.
    »Ja. Der Kreis hat sich geschlossen.«
    »Eine seltsame Geschichte, nicht wahr?«
    »Und du glaubst an das Paradies auf Erden?«
    Es war

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