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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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keine Frage, sondern eine Feststellung. Er lächelte.
    »Für mich ist dieser Ort geheiligt. Hier kann ich den Pfad des Mondes sehen, den Puls der Steine hören, das Knarren der Wurzeln, wenn sie sich strecken. Die Bäume lauschen mit ihren Blättern, und die Tiere sagen zu mir: ›Wir tun dir nichts Böses.‹
    Und wenn hoch am Himmel ein Stern zu wandern scheint, ist es nicht immer bloß ein Satellit. «
    Ich hatte das Gefühl, daß ich mich mit ihm in einem Kreis befand, in einem Traum, der alles umschloß.
    »Deine Frau in Amerika, kannte sie diese Geschichte?«
    Er lachte wie ein Kind, stoßweise.
    »Nein, natürlich nicht. Was hätte sie damit anfangen sollen?«
    Er setzte sich zu mir; ich nahm seine Hand, die so zart und kräftig war, und legte sie an meine Wange. Dann drückte ich meine Lippen in seine Handfläche; sie schmeckte nach Honig, nach Mandarinenschale. Der Duft entfaltete sich in meinem Mund, mit dem Duft seiner Haut. Seine Stimme wurde plötzlich rauh.
    »Was machst du mit mir?«
    Ich hob das Gesicht zu ihm empor.
    »Du weißt doch, daß ich dich liebe.«
    »Hast du vorher nie geliebt?« fragte er dumpf.
    »Nur diesen und jenen, wie es eben ist.«
    »Eine Zeitlang kann man nicht anders, ich weiß.«
    Über den Kiefern leuchtete der Himmel. Staub tanzte im flir-renden Licht. Das alte Schwert warf einen langen Schatten auf die Steine wie eine Sonnenuhr.
    »Immer sich selbst genügen«, sagte ich, »das ist auf die Dauer kein Leben.«
    »Ich sehe dich immer mehr so, wie ich dich am Anfang gesehen habe«, sagte er.
    »Wie denn?« fragte ich lächelnd.
    »Nicht nur wie eine schöne Frau«, sagte er. »Sondern wie eine Träumerin, die sich im Spiel mit Kindern selbst vergißt.
    Das ist es, was mir aufgefallen ist. Die Art, wie du selbst zum Kind wurdest. Die meisten von uns haben diese Fähigkeit verloren. Wir unterdrücken einen solchen Impuls, weil wir uns einbilden, es sei unter unserer Würde.«
    Ich lachte leise an seiner Wange.
    »Lea sagte mir oft: Ruth, wenn du dich wie eine Erwachsene aufführst, scheinst du eine Rolle zu spielen. «
    Und auch bei ihm, dachte ich, erscheint die Kindheit auf seinem Gesicht, in diesem überraschenden, stets wiederkehrenden Ausdruck von Abwesenheit. Dabei ist er nicht schüchtern, ganz und gar nicht. Man sieht es am Lächeln der Augen. Doch jetzt lächelte er nicht.
    »Du weißt auch, daß ich dich liebe.« Er sagte diese Worte sehr ernst. Und fügte hinzu: »Mir ist das erst jetzt richtig klargeworden.«
    Mir kam eine merkwürdige Darstellung in den Sinn. Ich sah sie deutlich wie ein Bühnenbild: eine Verästelung, in der wir verfangen waren. Sie ließ sich bis zur Wurzel zurückverfolgen und wuchs nicht zielstrebig und durch logische Schritte, sondern wie ein Baum wächst: in Verbundenheit von Regen und Sturm, Hitze und Kälte, Licht und Dunkelheit. Ich dachte: Mit dieser Vision kann ein Tanz beginnen. Ein Tanz auf einer Insel im Meer, zwischen Nebelflecken und Gestirnen, mit einem Schwert als Mittelpunkt. Warum nicht?
    Ich brach mit einem Seufzer das Schweigen.
    »Wir werden uns wohl daran gewöhnen müssen.«
    »Woran?«
    »Daß wir ein besonderes Schicksal haben.«
    Er lächelte wehmütig. »Manchmal habe ich das Gefühl, daß alles schon vorher beschlossen wurde.«
    Ich drückte meine Stirn an seine Schulter. Eine Weile spürte ich nur noch seine Atemzüge. Dann hob ich den Kopf. Wir sahen einander an, beide im gleichen Zustand, fast befangen.
    Ich sagte, mit rauher Stimme:
    »Wie mir dieser Gedanke gefällt, du kannst es nicht wissen…«
    »Lea, ich muß dir einiges berichten und suche mit Mühe den Anfang. Ich möchte diesen Brief sachlich halten, aber ich weiß nicht, ob ich es schaffen werde. Es ist mir wirklich peinlich, dich in Aufruhr zu versetzen. Wir mögen das beide nicht. Beim Tanzen kann man gut vor sich hin denken und wird manchen Ballast los. Leider geht unsere Seele nicht nur auf der Bühne auf Reisen. Ich habe dich in deiner Vergangenheit getroffen, Lea. Ein paar Stunden lang war ich eins mit dir. Du schüttelst den Kopf? Vorsicht, Lea, auch ich kann nicht immer auf Distanz gehen. Erinnerst du dich an einen goldenen Anhänger?
    Mit zwei Gravuren? Vorne eine Schwertlilie, hinten ein Name: Iris. Woher ich das weiß? Ich trage diesen Anhänger jetzt, obwohl ich sonst nie Schmuck trage. Lea, ich habe Hanako wiedergefunden. Und dein Tagebuch gelesen. Jetzt sitzt du da und holst tief Atem, nicht wahr? Ist es wirklich nur deine persönliche

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