Seidentanz
der alte Herr als zudringlich empfinden mochte. Um so überraschter war ich, als Kunio mir sagte, sein Vater habe nichts dagegen, wenn ich in die Werkstatt käme.
»Oh, ich weiß wirklich nicht«, antwortete ich. »Ich will ihn nicht stören. «
»Der Vorschlag kam von ihm«, sagte Kunio. »Das wundert mich eigentlich. Für gewöhnlich darf kein Besucher in die Werkstatt. Er hat sogar seinen Gesellen entlassen. «
»Und wer hilft ihm jetzt? Du?«
Er grinste ohne Fröhlichkeit.
»Tja, daran ist wohl nichts mehr zu ändern. Solange er das Schwert in Arbeit hat…«
Kunihiko war schmaler und blasser geworden. Die Augen schimmerten wie von Rauch getrübt. Seine Lippen wirkten trocken und dünn; mir schien sogar, daß sich die Altersflecken auf seinem Gesicht vermehrt hatten. Doch kaum hatte er die Werkstatt betreten, geschah eine seltsame Verwandlung mit ihm. Ich traute im ersten Moment kaum meinen Augen. Es war, als ob ein geheimnisvoller Zauber den alten Körper von jeder Müdigkeit befreite. Die Jahre schienen von ihm abzufallen.
Seine Bewegungen wurden jugendlich, geschmeidig. Eine rätselhafte Kraft durchströmte ihn. Das Strecken des Eisens konnte er noch gut allein bewältigen, aber für das sich formen-de Schwert war mindestens ein Zuschläger nötig. Das Eisen wurde im Zweierschlag bearbeitet. Kunio wendete das Eisen bei jedem Schlag, während sein Vater den Takt angab. Das Eisen mußte sehr heiß sein; fast in Weißglut, das erleichterte die Bearbeitung. Die Spitze des Schwertes war bereits gestreckt. Kunihiko hatte einen ganzen Tag dafür aufgewendet und die Arbeit in einem einzigen Arbeitsgang ausgeführt. Nun mußte die Oberfläche mit dem Hammer geglättet werden. Ich sah zu, wie sie es machten. Der alte Schmied hielt das Eisen, während Kunio hämmerte. Die Schläge wurden zur Spitze hin immer schneller und leichter, unter stetem Wechsel der Eisen-flächen, bis die Spitze fertig und perfekt war. Es war ganz erstaunlich. Kunihiko saß ruhig da, kniend auf einem Bein, weiß-
gekleidet in der Tradition der Schmiede. Auch Kunio trug wei-
ße Hosen, eine ebenfalls weiße Kimonoweste. Jede seiner Bewegungen war ausgewogen, locker. Keine rohe Kraft war zu spüren, nur Feingefühl, Präzision, eine wundervolle Harmonie.
Ich sah sein Profil mit der fein geschwungenen Adlernase, die sanften Augen unter den gewölbten Lidern, die geschmeidigen Gelenke, die leichten, kräftigen Hände. Dies war keine Arbeit, die er verrichtete, sondern eine rituelle Handlung. Und sein Vater, der mit blassen Lippen seine Anweisungen gab, kam mir wie ein Zauberer vor, eine Elfe, ein Wesen, an dem kaum noch etwas Irdisches haftete.
Ich, die ich schweigend in einer Ecke kauerte, spürte eine starke Liebe für beide Männer, eine staunende Bewunderung für so viel Adel, so viel Können.
»Woher nimmt er die Kraft, noch zu arbeiten?« fragte ich Rie, als ich sie in ihrer Buchhandlung hinter der Ryutani-Universität besuchte. Sie zog die Schultern hoch, scheinbar unbeeindruckt.
»Ach, er ist ein Dickschädel. Er hat überall Schmerzen. Der Arzt verschreibt ihm Mittel, die er nicht nimmt. Er sagt, er sei kein Pillenschlucker. Ich zerdrücke die Tabletten und mische sie in sein Essen. Bis jetzt hat er den Trick noch nicht entlarvt.«
Sie trug ein schwarzes T-Shirt, beige Hosen aus kühler Baumwolle. Ihr Haar glänzte fast violett, in der Farbe der Waldrebe. Auch Kunio hatte manchmal diesen Schimmer im Haar. Unter dem Boden war das schwache Vibrieren der U-Bahn zu hören. Der Laden war klein und schummrig, mit zwei Türen an der Schmalseite, Buchregalen an drei Wänden bis zur Decke. Hinter der Kasse, an der rückwärtigen Wand, stand Keiko, Ries Mitarbeiterin. Keiko hatte eine ausgesprochen rosige Haut und einen großen Busen für eine Japanerin. Auch das billigste Taschenbuch versah sie mit einer hübschen mal-venfarbenen Buchhülle, auf der nur der Name des Buchladens
»Murasaki« stand.
»Wie du weißt, ist Murasaki – Lila – die Farbe der Feministinnen.« Rie zeigte ihre schönen Zähne. »Aber Murasaki war auch der Name einer Schriftstellerin.«
Ich hatte Zeit gehabt, mich zu informieren, und lächelte.
»Sie hat den ersten großen Roman der Welt geschrieben:
›Die Geschichte des Prinzen Genji‹.«
Rie zeigte sich erfreut, daß ich es wußte.
»So desu! Murasaki Shikibu war Miyabito – Palastbeamtin –
und lebte vor tausend Jahren. Kultur war damals Sache der Frauen. Sie schrieb auf Wunsch der Prinzessin
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