Seidentanz
Ich bin zu einem süchtigen Liebenden geworden. Mein Leben schwankt zwischen Glück und Depression, ein Taumel zwischen den Gegensätzen. Es gibt immer mehr Dinge, die für mich unersetzlich werden. Deine seidige Haut. Deine Hüften, deine Antilopenbeine. Die dunkle Tiefe in dir, diese schwarze, schmelzende Süße. Ich will dich immer berühren, mit den Fingern, der Zunge. Ich tauche in einen Kreis von Blütenblättern, die niemals das Licht sehen. Sie pulsieren und ziehen sich zusammen, sie halten mich fest, so sanft, so eng.«
»Man kann das üben.«
»Ich weiß. Und das macht jeden Mann verrückt. Du ziehst mein ganzes Gewicht in dich ein, tiefer und tiefer, bis zu deinem innersten Punkt. Mein Geschlecht klopft in dir, in deinem hohlen Bauch. Keine Wahrnehmung mehr, nur das Herz, das alles Blut durch den Körper stößt, und das Gefühl, daß ich liebe, und daß es niemals mehr so gut, so vollkommen werden kann… «
Er trank von neuem, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Seine Augen waren eigentümlich dunkel, und die Lippen waren blaß und zitterten leicht. Ich spürte ein Flackern im Unterleib; es brannte so stark, daß es wie eine heiße Woge aus Schenkeln und Hüften brach. Ich schluckte und sagte:
»In der Welt deiner Phantasie sind deine Träume recht eindeutig… «
»Ich möchte noch hinzufügen«, erwiderte er, »daß ich in einer Krise bin und an vielen Tagen nicht weiß, was ich mit mir anfangen soll.«
Unbekleidet ist er am schönsten, dachte ich. Als Tänzerin hatte ich ein Auge dafür. Der Körper war geschmeidig, kom-pakt und wunderbar ausgewogen, nicht überproportioniert, wie es heute bei jungen Menschen manchmal vorkommt. Mir kam Nijinsky in den Sinn: »L’après-midi d’un faune.« Adjektive gingen mir durch den Kopf, sie paßten alle nicht zusammen und galten trotzdem für ihn: arglos, scharfblickend, unbefangen, wissend, urtümlich, weltgewandt, keusch, zügellos. Und dann sein Gesicht, für gewöhnlich ruhig und glatt, doch jetzt klebten ein paar Strähnen an der Stirn; die braunen Augen, die weichen Lippen. Und dann sein schallendes Gelächter, das jeden sofort glücklich machte. Es war wie ein tiefer Brunnen, in dem klares, stilles Quellwasser stand. Ein Mann, der die Welt gesehen hatte und seine Kinderträume nicht verleugnete.
»Vielleicht sollten wir darüber reden«, sagte ich.
Das Zittern seines Mundes ließ nach; auf einmal sah er verschmitzt, fast fröhlich aus.
»Wovon sollen wir reden?«
»Von der Liebe, vielleicht?« fragte ich.
Seine Brauen zogen sich schräg zusammen.
»Man ist nicht mehr derselbe, danach. Man wird ein anderer.«
Ich nahm seine Hand und bettete meine Wange hinein.
»Es gibt keine Erklärung für Stimmungen dieser Art.«
Er nickte. Seine Finger streichelten mein Gesicht.
»Du lebst in Europa«, sagte er nach einer Weile. »Das ist ganz unerträglich.«
»Ich lebe nicht in Europa. Ich wohne nur zufällig dort.«
»Wie irgendwo anders auch?«
»Ja.«
Die Spannung verflog von seiner Stirn. Er nahm meinen Kopf zwischen die Hände. Seine Lippen wanderten über mein glühendes Gesicht, über Nasenflügel und Augenlider. Wir küßten uns so heftig, daß unsere Zähne aneinanderschlugen.
Mühsam rissen wir unsere Lippen voneinander los, starrten uns an. Er hielt mich an den Schultern fest.
»Willst du damit sagen, daß es dir egal ist?«
»Es ist mir egal. Und… mir gefällt es hier nicht schlechter als anderswo.«
»Gibt es keinen Mann, der dich in Europa erwartet?«
»Keiner, der mir ins Gedächtnis kommt.«
»Wäre das ein Grund für dich, in Japan zu bleiben?«
»Ich bin jetzt mal da, einstweilen.«
»Geh nicht fort. Bleib bei mir.«
»Nachdem du mir von deiner Frau erzählt hast?«
Wir lachten kurz auf, im gleichen Atemzug.
»Das war nicht der Rede wert«, meinte er.
»Jeder macht früher oder später einen Fehler. «
Er schaute mir direkt in die Augen. Sein Blick war nach wie vor ernst, fast kindlich.
»Ich bitte dich sehr, mich nicht zu verlassen. Das ist keine Laune, kein spontaner Einfall. Ich habe darüber nachgedacht.«
»Wo?«
»Im Klassenzimmer. Ich ließ die Schüler Aufsätze schreiben.«
»Konnten sie das denn, die ganze Zeit?«
»Manche konnten und manche konnten nicht.«
Wir lachten wieder, er weniger als ich. Die Unruhe war immer noch da, in seinem Blick.
»Ich übe jetzt moralischen Druck auf dich aus. Laß dich warnen! Von sämtlichen Vertretern der Auslandspresse. Sie kennen Japan besser als
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