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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Zähnen. Über dem herunterhängenden Kinn der Maske war eine Öffnung für Nase und Mund angebracht. Eine geballte Drohung ging von ihr aus, und gleichzeitig war sie die Maske einer Gottheit, mehr für einen Tempel bestimmt als für die Bühne. Ich fühlte, wie die Anwe-senden den Atem anhielten, als Sagon mit leichten, geschickten Gesten die Maske um meinen Kopf befestigte. Drei dünne Hanfbänder waren dafür vorgesehen; Seide eignete sich nicht, weil sie rutschte. Das erste, was mir auffiel, war der Geruch.
    Die Maske roch nach Weihrauch, nach Rinde, nach bitteren Wurzeln: ein erstaunlich lebendiger Geruch. Die zweite Überraschung, und nicht die geringste, war, wie leicht sie sich tragen ließ. Im Inneren war das Holz, ebenso gewichtslos wie eine Lackschale, von seidiger Glätte – die Arbeit eines wirklich begnadeten Handwerkers. Fast hatte ich das Gefühl, eine Haube aus Flockenseide zu tragen, so eng und vollkommen umschloß sie meinen Kopf. Tänzer schätzen die Vollkommenheit der Requisiten. Nichts ist schlimmer als eine Maske, die einengt oder rutscht. Fast gab ich mich dem rein sinnlichen Genuß hin, die Maske zu tragen, als mein Blick auf Sagon fiel, der sie befestigt hatte und nun vor mir stand und mich betrachtete. Auf seinem Gesicht stand ein Ausdruck, als hätte der Schmerz ihn gepackt. Auch die Teilnehmer des Ensembles starrten, die Augen erhoben, als ob sie etwas über meinem Kopf betrachteten. Der Gedanke an den Greifen durchzuckte mich. Ich spürte ihn über mir schweben wie einen Schatten. Die Maske verbreitete eine Art heiliger Ehrfurcht, wenn nicht gar Angst. Ein paar Sekunden lang fiel kein einziges Wort, in diesem Augenblick des Schweigens vollzog sich die Verwandlung. Die Macht der Maske flutete in mich hinein. Es war etwas sehr Seltsames: Als ob das Innere der Maske sich leicht zusammenzog, fast hatte ich das Gefühl, daß der Greif seine Klauen in meine Schädeldecke bohrte. Schmerzen verspürte ich nicht, nur einen starken Druck. Das alles vollzog sich in dem Bruchteil eines Atemzuges. Wäre es irgendwie möglich gewesen, hätte ich die Knoten jetzt gelöst, die Maske abgeschüttelt. Zu spät! Sagon hob die Hand: Musik setzte ein. Die tiefen, drohenden Schläge der Riesenpauke erfüllten die Stille. Die Zylindertrommel schlug, flach und emsig, wie ein stetiges Herz. Nun war es nicht mehr mein Verstand, sondern mein Körper, der antwortete. Meine Muskeln bewegten sich, der Wille folgte. Gesichter, Formen und Farben, durch die Maskenöffnung wahrgenommen, ver-mischten sich. Der süßliche, berückende Geruch umgab mich ganz. Sagon gab mit beiden Armen den Rhythmus an, skandierte mit den Füßen den Tanz. Ich atmete schwer; meine eigene Substanz schien mit der Substanz der Maske zu verschmelzen.
    Der Geruch wurde schärfer. Mein Schweiß benetzte das Holz, oder war es die Maske, die schwitzte, mit öliger Feuchtigkeit meine Haut tränkte? Ich hörte das Geräusch meines eigenen Keuchens; die Trommel pulsierte in meinem Körper, die Pauke schmetterte. Doch ich tanzte, im Einklang mit den Schritten des Meisters, meine Glieder ganz durchdrungen von dem präzisen, federnden Rhythmus. Plötzlich ergriff mich eine Art Ekstase; mein Blut wurde zu einem tollen Wirbel. Mir war, als ob der Schatten des Greifs über mir ungestüm zuckte, den Raum in granatfarbenes Dämmerlicht tauchte. Die Riesenpauke donnerte, das Schrillen der Oboe durchbohrte meinen Kopf. Die Maske preßte sich an meine Schädeldecke; ihr Druck kam mir seltsam lebenswarm, intim vor. Sie war lebendig, von Leben durchpulst. Sie sprach zu mir. Es war eine Stimme, die ich nicht vernahm, und doch eine Stimme, aber zweifellos sprach Bosheit aus ihr, dazu Intelligenz und Macht. Mein Gehirn verstand, was sie ausdrückte.
    »Das Spiel hat begonnen!« sagte der Ranryô-ô. »Bist du bereit?«
    »Ich weiß, was ich zu tun habe.«
    »So? Ich warne dich. Der Priester hat Riten an dir vollzogen, aber sie reichen nicht aus. Wo ist der Geist, der dich schützt?«
    »Ich schütze mich selbst.«
    »Du bist wirklich sehr anmaßend«, sagte die Maske.
    Das Lachen klang schrill und deutlich, zerriß mein Trommelfell. Ich war umbrandet vom Dröhnen der Riesenpauke, eine unerträgliche Dissonanz. Meine Stirn spannte sich, mein Bauch schien einzusinken, und jeder Muskel zitterte. Ich hatte das Gefühl, ich würde gleich umfallen – ich wünschte mir nichts sehnlicher, als umzufallen. Und trotzdem tanzte ich weiter, führte die richtigen Schritte aus,

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