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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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vervollständigten die Tracht. Aiko half mir beim Ankleiden. Die schwere Seide duftete nach Honig und Weihrauch. Das Gewand war durch zwei Seidenschnüre eng um die Taille befestigt. Darüber wurde eine golddurchwirkte Schärpe, doppelt genäht, mehrmals geschlungen und geknotet. Ich zog die Luft ein, atmete sie langsam wieder aus. Aiko nickte mir zu, halb belustigt, halb besorgt.
    »Zu eng?«
    Ich verzog das Gesicht.
    »Besser zu eng als zu locker!«
    Ich wollte nicht mit der ständigen Drohung »alles rutscht«
    kämpfen, während ich tanzte. Sagon, vor dem ich ein paar Minuten später in dieser Aufmachung erschien, gab einen zu-friedenen Grunzton von sich. Auch die Teilnehmer des Ensembles flüsterten anerkennend. Nach kurzer Eingewöhnung trug ich das Gewand sehr ungezwungen. Meine Hände wurden völlig von den überlangen Flügelärmeln bedeckt. Sagon zeigte mir, wie ich sie zurückwerfen mußte, um die Hellebarde zu schwingen. Er gab das Signal zur Musik, ließ mich das ganz genau üben. Nach einer Weile sagte er:
    »Ja, auf dieser Basis können wir weitermachen.«
    Bald war ich voll und ganz dabei. Man muß schon ein Ko-stüm tragen, um eine Rolle überzeugend zu verkörpern.
    Nach einer Weile ging mir das Gefühl »ich bin jemand anderes« so ins Blut über, daß ich mich ganz aufs Tanzen konzentrieren konnte. Zu den Schlägen der Hängetrommel ließ ich die Hellebarde kreisen, langsam und mächtig, wie es vorgeschrieben war. Zwei Spieler mit großen Schilden aus vergoldetem Metall stellten meine Schutzwache dar. Der Abstand war genau festgelegt, jeder Schritt den meinen nachgeahmt. Das erforderte ungeheure Konzentration. Doch Sagon formte uns wie Wachs, knetete uns zu einer Einheit; alle spürten das. Wir folgten dem Rhythmus, wichen keine Sekunde davon ab. Die Bewegungen waren bis ins Kleinste fixiert, sie mußten auch exakt eingehalten werden. Nach einer Weile hob Sagon die Hand. Die Musik brach ab. Es trat eine Pause ein, in der sich die Darsteller entspannten. Wir schwitzten unter den schweren Kostümen. Aiko brachte nasse Tücher, mit denen wir Gesicht und Hände er-frischten. Wir tauschten ein Lächeln, und sie sagte leise:
    »Gut. Sehr gut!«
    Doch die Pause war kurz. Sagon tupfte sich die nasse Stirn ab und wandte sich mir zu. Ich sah in seinen Augen ein Zögern, einen Schimmer von Unsicherheit.
    »Ruth-San, es wird nötig sein, daß du die Maske trägst.«
    Ich erwiderte seinen Blick. Wir wußten beide, daß die Aufgabe, die Maske zu tragen, die schwierigste war. Zum ersten Mal würde der Ranryô-ô meinen Körper berühren, der Dämon in die Maske strömen. Er würde versuchen, mich zu besitzen.
    Im Innersten schmerzte es Sagon, daß er mich auf die Probe stellen mußte. Andererseits spürte ich eine gewisse Neugierde in ihm; eine Neugierde, die ich teilte. Wenn ich es geschickt anstellte, Halluzinationen tilgte, würde ich mir die Macht des Geistes zu eigen machen. Die Herausforderung reizte mich; solche Dinge lagen mir. Und wenn ich eine geheime Unruhe empfand, so folgte gleich darauf die Überlegung: Wir werden ja sehen!
    »Ich werde sie tragen«, sagte ich.
    Ein kleines Lächeln hob seinen Mund.
    »Und was wirst du mit dieser Maske tun, Ruth-San, wenn du sie aufsetzt?«
    Ich antwortete, leichthin, um die Spannung zu vertreiben:
    »Den Ranryô-ô tanzen, für den sie gemacht wurde!«
    Alle sahen still zu, wie Sagon vor der Schachtel aus Weiß-
    holz niederkniete, die komplizierte Schlinge der violetten Seidenschnur löste. Er hob den Deckel, schlug das weiße Seidentuch auseinander. Seine vorsichtigen Hände brachten die Maske zum Vorschein. Ich hatte sie nicht mehr gesehen, seit dem ersten Mal, als er sie mir gezeigt hatte. Ich war vorbereitet; gleichwohl überlief mich ein Schauer. Die Maske funkelte im Licht, wie mit Gold eingerieben. Die Muster und Spiralen glänzten wie Blutspuren. Die flügelförmigen Ohren schienen zu vibrieren, der Schnabel des Greifens ragte drohend empor. In den Augenhöhlen war kein Funken Leben, und doch schienen in den dunklen Tiefen unergründliche rote Pünktchen zu flak-kern. Das Antlitz war voller Biegungen und Schatten, die sich zu bewegen schienen. Aber das war nur eine optische Täuschung, eine Illusion. Sagon erhob sich: ein weiches, fließendes Abstoßen der Zehenspitzen. Er trat mit der Maske auf mich zu; die Fratze schien mir entgegenzuschweben. Eigentlich war sie mehr ein Kopfputz. Die Augen des Maskenträgers befanden sich genau unter den bleckenden

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