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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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fragten jetzt nach Hanako. Kunio erzählte, daß sie nach Miwa gezogen war. Aiko meinte, das gesunde Klima der Nara-Ebene würde ihr guttun.
    »Nagasaki ist sehr heiß im Sommer, ne? Der Meereswind ist zu scharf für die zarte Beschaffenheit älterer Menschen. «
    Sagon wollte wissen, ob die Ehrwürdige Großmutter noch den Pinsel führte.
    »Sie übt täglich«, sagte Kunio, »und sie geht dabei so weit, daß es ihr gleichgültig ist, ob ihre Pinselstriche als schön empfunden werden oder nicht. Sie sagt, je mehr man sie mißversteht, desto besser!«
    Kunio lachte dazu, während Sagon einen respektvollen Laut hören ließ – ein langgezogenes bewunderndes »Eeee«. Er sagte, Hanakos Ansicht entstamme der höchsten geistigen Disziplin.
    »Oberflächliche Bewunderung ist nicht nur banal, sondern ärgerlich. Das Entscheidende ist, daß das Herz des Betrachters das Werk richtig erfaßt und würdigt.«
    Er hielt die nackten, muskulösen Arme verschränkt und verbeugte sich beim Sprechen; er huldigte dem Schatten der alten Dame, so als sei sie gegenwärtig.
    Ich erzählte von der besonderen Bindung zwischen Hanako und meiner Mutter. Ich zeigte Sagon und Aiko die Kette, sprach von dem scheinbaren Zufallsgeschehen, das über einen Abgrund von fünfzig Jahren zwischen Hanako und mir eine Brücke geschlagen hatten. Aiko hielt die Augen groß und staunend auf mich gerichtet. Sagon schluckte, seine Lippen preßten sich zusammen. Die Begebenheit berührte beide stark. Kunio sagte, daß weder er noch Rie von dieser Geschichte etwas ge-wußt hätten. Nicht einmal davon, daß Hanako jährlich in Kobe Iris’ Grab aufsuchte. »Wir hatten ja nie danach gefragt«, meinte er. Wir tauschten ein schwaches Lächeln. Aikos Augen glänzten. Sie beugte sich leicht vor, brach mit sanfter Stimme das Schweigen.
    »Ruth-San, unsere Existenz besteht aus vielen Schichten.
    Wir hängen nicht unabhängig im Raum. Unser Körper bewahrt die Erinnerung an die Vorfahren, die ebenso zahlreich wie verschieden waren.«
    Sie merkte, daß ich ihr aufmerksam zuhörte, und das genüg-te, um sie weitersprechen zu lassen.
    »Dein Leben wurde dir von deiner Mutter gegeben. Sie ist die Materie, die dich geschaffen hat, der Geist, der deinen Lungen Atem gab. Du trägst ihre Träume im Herzen; willst du dein Geheimnis kennen, so denke an deine Mutter und du weißt, wer du bist.«
    Während sie sprach, hatte Sagon mit ernstem Gesicht mehrmals genickt. Jetzt ließ er seinen zustimmenden Brummton hören, der tief aus seinem Inneren zu kommen schien.
    »So desu. Wir sehen nur die Oberfläche, aber das Schicksal verrichtet seine Arbeit im Hintergrund. Es ist wie eine Gram-matik des Tanzes, ein zeitloser Reigen. Eine Störung entsteht nur dadurch, daß diese Erkenntnis nicht zur rechten Zeit erwor-ben wird. «
    Ich dachte, was für eine schöne Sprache diese Menschen sprechen. Und im gleichen Augenblick hatte ich ein ganz eigentümliches Gefühl: Ich wartete auf etwas, das noch kommen würde. Das Gefühl flatterte und zuckte in meinem Herzen. Mir war, als hätte ich plötzlich einen Traum aufgedeckt. Einen Bereich voller Undefinierter Formen und Gesichter, die in jahrzehnteweiter Entfernung schwebten, vermischt mit Urvor-stellungen. Es war ein langsames, ganz langsames Umherwandern. Ein zeitloser Reigen, hatte Sagon Mori gesagt, ein wun-dersames Spiel der Kräfte. Ein Kreis war gespannt, von alten Träumen durchpulst. Ich versetzte mich tanzend in den Mittelpunkt. Und im Tanz erwachte das Geträumte zum Leben.
    36. Kapitel
    I n diesen Nächten liebten wir uns mit aller Kraft, mit nie dagewesener Innigkeit. Es war, als ob wir mit dem Körper ausdrücken wollten, was unsere Seelen empfanden, ein Hinaufschwingen aller Gefühle, wunderbarer als alles, was wir uns je in Gedanken vorstellen konnten. Sein Körper und mein Körper, beide lang und straff, an der Grenze zwischen Jugend und Reif-erwerden. Wir sprachen wenig, wenn wir uns liebten. Das war nicht unsere Art. Wir küßten uns nur, lange, bis unsere Lippen taub wurden und pochten und Gluthitze auf unseren Wangen lag. Wir schlossen die Augen dabei; doch manchmal sahen wir uns an, und ein Lächeln zitterte um unseren Mund. Fast war es, als blickten wir durch uns hindurch. Während er sich tief in mir bewegte, löschte das schmerzhafte Glück in meinem Schoß die Gedanken aus, sie kamen und gingen wie Schnappschüsse.
    Bisweilen hielt er einen Augenblick inne, und dann tat mein Herz einen Sprung. Das war es, diese Ekstase,

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