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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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ne?«
    »Ganz sicher.«
    »Wenn ich nicht täglich den Spaten schwinge, zeige ich wenig Nachsicht für menschliche Schwächen. Und von einem Kannushi wird Langmut erwartet.«
    Ich lachte mit ihm, doch seine schwarzen Augen betrachteten mich aufmerksam, während er sich auf seinen Spaten stützte.
    »Ich hörte, daß Sagon Mori zufrieden mit dir ist. Du kommst perfekt vorbereitet zu jeder Probe. Er staunt, wie schnell du mit der Gesang- und Orchesterpartie vertraut geworden bist.«
    »Ich habe ein gutes Ohr für Musik. Im allgemeinen inszeniere ich meine Choreographien selbst. Aber wenn ein Regisseur zu bestimmen hat, dann folge ich ihm nahezu blind. Und was das andere betrifft… nun, vielleicht bin ich neurotisch.«
    Er nickte.
    »Ja, das gehört dazu. Angst?« fragte er mit Nachdruck.
    Ich zog die Schultern hoch.
    »Eigentlich nicht. Aber ich würde gerne wissen, ob ein Versagen von mir… bestimmte Auswirkungen haben könnte.«
    »Hmm!« Daisuke bückte sich und sammelte Unkraut ein.
    »Ruth-San wird nicht versagen. Ruth-San ist sehr stark.«
    Ich verbeugte mich spöttisch.
    »Ich danke Ihnen. Das höre ich gerne.«
    Doch sein Gesicht war wieder ganz ernst. Er warf das Unkraut auf einen Komposthaufen.
    »Das sind keine Dinge, über die du nachdenken kannst. Du mußt diese Dinge mit dem Instinkt machen.«
    »Sie meinen, daß ich auf die Maske einwirken kann?«
    »So desu. Aber du mußt mehr Kontrolle lernen. Du wirst einen ziemlich starken Druck fühlen. Die Maske ist ja niemals ein Instrument des Verbergens, sondern der Offenbarung. Denke immer daran, die Maske bewegt den Träger, nicht umgekehrt. Du mußt dir ein eigenes Kraftfeld aufbauen, eine Schutzvision, und dieses Bild nicht für den Bruchteil einer Sekunde verlieren. «
    »Was für ein Bild, Kumano-San?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Ich kann nicht für dich wählen, Ruth. Du mußt selbst wissen, welches Bild dir Kraft gibt. Du wirst zwei Dinge gleichzeitig tun müssen: tanzen und dir den Ranryô-ô vom Leib halten.«
    Er hob den Spaten wie einen Speer, als ob er den Angriff eines wilden Tieres auffinge. Ich verzog das Gesicht.
    »Sie machen mir keinen Mut.«
    Er zwinkerte mir zu.
    »Vielleicht ist es nicht ganz so schlimm.«
    »Und Sie denken, daß ich dazu fähig bin?«
    Er kicherte, ließ den Spaten sinken.
    »Das ist das Besondere an dir, Ruth. Du betrachtest Geister wie andere die Bilder einer Ausstellung. Aber gewisse Bilder können verwirren.«
    Wir wanderten langsam durch den Garten. Die Büsche und Pflanzen, täglich besprengt, hauchten warme, balsamische Düfte aus. Der Hohepriester stapfte in seinen Gummistiefeln neben mir her. Seine Schritte waren schwer und raumgreifend, die Schritte eines Menschen, der die Erde liebt, seine Kraft aus ihr bezog. Er sagte in beiläufigem Ton:
    »Du hast mir noch mehr zu erzählen.«
    Ich lächelte, wenn auch nur flüchtig.
    »Sie wissen ja schon alles.«
    Fältchen zeigten sich in seinen Augenwinkeln.
    »Mich würden noch Einzelheiten interessieren.«
    Ich sprach ziemlich lange; er hörte zu, mit seinem innersten Wesen. Nie habe ich gesehen, daß schwarze Augen ein Antlitz derart erhellten. Es lag soviel Lebenskraft in diesem Blick.
    »Du hast erlebt, daß aus Schmerz ein Wunder werden kann.
    Und auch, daß die Vergangenheit stets mit uns wandert. Es ist eine merkwürdige Geschichte, Ruth. Nicht so sehr, was die Ereignisse selbst betrifft, sondern in der Art, wie sie sich fortsetzen. «
    »Ich sehe das alles bildlich vor mir«, sagte ich. »Wie eine Tanzschöpfung. Keine klare Linie, nein, sondern Ringe. Sie streben auf einen Punkt zu und bilden ein Muster…«
    Er nickte in Gedanken.
    »Aber das Muster ist noch nicht fertig.«
    »Vielleicht richten wir alles nach unserer Phantasie ein?«
    »Die macht uns am meisten Kopfzerbrechen, ne?«
    Er legte mir kurz die Hand auf die Schulter, und ich seufzte.
    Ein Gedanke zuckte in mir auf. Er hatte nichts mit dieser Geschichte zu tun und hing doch irgendwie mit ihr zusammen.
    »Ich mache mir Sorgen um Naomi. Ich bin schon so lange ohne Nachricht von ihr. Kein Lebenszeichen, nichts!«
    Daisuke runzelte die dichten Brauen. Sein Ausdruck war plötzlich düster. »Sie macht eine Verwandlung durch.«
    Ich fühlte ein Flattern in der Magengrube: diese leichte Übelkeit, die mich stets überkam, wenn ich an Naomi dachte.
    Deswegen vermied ich es auch, allzuoft an sie zu denken.
    »Glauben Sie, daß sie Probleme hat?«
    »So, wie die Dinge stehen, sind die Probleme wohl

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