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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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zur Verfügung gestellt, wo wir uns umziehen und schminken konnten. Aiko hatte mein Ko-stüm über einen lackierten Rahmen gehängt. Ich bewunderte ihren Kimono, dunkelblau, mit goldenen Karpfen geschmückt.
    Der Obi aus blaugrüner und türkisfarbener Seide glitzerte wie ein Schuppenmuster. Sagon, der überall auf einmal zu sein schien, blieb kurz vor mir stehen und nickte mir zu. Er trug eine seidene Kimonojacke, dazu einen dunkelvioletten Hosenrock aus schwerem Leinen.
    »Alles gut, Ruth?«
    Wir tauschten ein Lächeln; ich spürte, daß er ebenso wachsam wie ich war. Noch lag die Maske in ihrer weißen Seidenhülle. Noch schlief sie; doch nicht mehr ganz. Mir war, als ob ein Sirren von ihr ausginge, wie das ferne Summen eines einge-sperrten Insekts. Ich versuchte, mir keine Kopfschmerzen deswegen zu machen, es schlichtweg zu ignorieren. Aiko kam, um mir beim Ankleiden behilflich zu sein. Die Brokatstoffe rauschten und knisterten. Als Aiko mir die Seidenbänder um die Taille schloß, sog ich die Luft ein und atmete sie langsam wieder aus. Aiko nickte zufrieden, zupfte jede Falte in die richtige Form. Ihre Hände waren flink und geschickt. Wir sprachen nur das Nötigste. Die Spannung wuchs. Die Zuschauer trafen bereits ein, vorwiegend Männer, dunkel gekleidet, und Frauen in leichten Sommerkimonos. Der große Innenhof war erfüllt von Stimmen, von dem Knirschen der Schritte auf dem Kies. Die Sonne sank; zauberhaftes rosafarbenes Licht breitete sich unter den Bäumen aus. Die beiden Riesenpauken blendeten wie Gold. Die Rechte begleitete die Rechtstänzer und trug als Symbol den Mond und die Phoenixe. Die Linke war gekrönt von dem Sonnenspeer und dem Drachen, dem Sinnbild des Kosmos. Ein schmaler grüner Teppich, ebenfalls aus Damast, führ-te durch die Reihen der Zuschauer bis zum Haiden. Wartend kniete ich auf der Matte, das Haar im Nacken mit einer Kordel gebunden. Aiko hatte mein Gesicht weiß geschminkt, die Augenbrauen mit einem schwarzen Pinselstrich betont, die Lippen karminrot nachgezogen. Denn die Inszenierung sah vor, daß ich in der Mitte der Sequenz die Maske abzunehmen hatte. Der König, den Himmlischen Mächten vertrauend, bediente sich nun der kosmischen Kraft und trat dem feindlichen Heer mit nacktem Gesicht entgegen. Die Bewegung muß herausfordernd sein, hatte Sagon gesagt und mir die Geste so lange vorge-macht, bis ich sie nach seiner Zufriedenheit ausführte. Ich starrte vor mich hin, äußerlich völlig ruhig, nahm Dinge wahr, ohne sie wirklich zu sehen. Mein Herz schlug langsam und schwer.
    Kunio mußte sich irgendwo unter den Zuschauern befinden, Naomi auch. Es war besser, daß ich beide nicht sah. Ich wollte auch nicht an Lea denken, jetzt nicht. Die Kraft in mir durfte nicht zersplittert werden; ich mußte allein sein; allein in dieser kristallenen Hülle, in der ich atmete.
    Fünf Uhr. Eine Trommel warf ein kurzes, pochendes Zeichen. Der Gesang einer Flöte schwang sich durch den Hain –
    jubelnd und vogelgleich. Ein Zittern durchlief mich; ich fühlte, wie meine Kniesehnen zuckten. Schweigen senkte sich über die Zuschauer. Und jetzt, vom Klang der Flöte geleitet, schritt Daisuke Kumano langsam über den grünen Teppich, dem Haiden entgegen. Der Hohepriester trug den Eboshi, den schwarzen »Vogelhut«, und einen weißen Überwurf mit scharlachrot gefütterten Flügelärmeln. Leise knisternd schleifte eine Schleppe hinter ihm über den Boden. Die Hakama aus schwarzer Rohseide war so schwer und lang, daß sie ihn bei jedem Schritt dazu zwang, die Fülle des Stoffes mit dem Fuß zurückzuwer-fen. Dieses Schreiten war wie ein Tanz, unendlich anmutig und feierlich. Daisukes Ausdruck war verzückt; er hatte das Gesicht eines Menschen, der die Gottheit kennt und ihr unerschrocken ins Angesicht schaut. Der Yasaka-Schrein ist Susanoo-no-Mikoto geweiht, der Überlieferung nach Bruder der Sonnengöttin. Er ist eine Sturmgottheit, eine gewaltige übernatürliche Wesenheit, und gleichsam ein mächtiger Segenspender. Langsam erklomm der Hohepriester nun die Stufen; den Fächer hielt er mit beiden Händen in Höhe der breiten Gürtelschnalle. Als er die letzte Stufe erklomm, schwieg die Flöte; nur noch das Zwitschern der Vögel brach die Stille. Auf der Bühne erwartete ihn Sagon Mori. Er kniete nieder, verbeugte sich. Daisuke erwiderte die Begrüßung, wandte sich dann dem Hauptschrein zu und verneigte sich. Nun ergriff er die Gohei, die Rute aus Weißholz, schwang sie in alle vier Himmelsrichtungen.

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