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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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schalen Geschmack im Mund, meine Haut roch verschwitzt. Am Bahnhof waren Duschen. Ich seifte mich von Kopf bis Fuß ein und wusch mich, auch das Haar. Einige Geschäfte waren schon auf. Ich kaufte mir Wä-
    sche, ein T-Shirt, Jeans und Sandalen. Ich einem Café bestellte ich ein Frühstück: Milchkaffee, zwei Scheiben warmen Toast, Butter, ein Ei und Salat, das Übliche. Ich zündete die erste Zigarette an, bat um einen Notizblock und Kugelschreiber und begann, mein neues Stück zu skizzieren. Ich beschloß, für eine Zeitlang zu meiner Mutter nach Kobe zu gehen. Eine Freundin hat dort ein Studio, wo ich üben kann. Und ich will Seiji von seinem Vater erzählen. Ihm sagen, wie stark er die Tradition bewahrt hat, um sie als Avantgardist im Imaginären umzusetzen. Es gibt kaum einen anderen, der so vollkommen ist wie er.
    Seiji darf seinen Vater nicht mehr verleugnen, wie er es bisher getan hat. Einem Kind verzeiht man Ungereimtheiten. Von einem jungen Mann ist zu erwarten, daß er diese Dinge versteht. Vielleicht bringen es Seiji und ich fertig, Keita zu heilen.
    Ich bin entschlossen, es zu versuchen. Keita führte mich in die Hölle. Er blieb in ihr gefangen, aber ich stieg wieder hinaus.
    Gibt es etwas Entschlosseneres als eine Frau, die durch die Hölle ging?«
    Ich rieb mir die Stirn. Der Rauch, oder etwas anderes, verursachte mir starke Kopfschmerzen. Ich sagte:
    »Du liebst ihn immer noch.«
    Sie lächelte mir zu, unendlich traurig und begehrenswert.
    »Ich sehne mich nach dem Geruch seiner Haut. Die weiße Schminke, siehst du, sie duftet nach Flieder. Nach einiger Zeit fängt die Haut diesen Duft auf, zwangsläufig. Und der Duft bleibt auch in den Kleidern haften. Keita trug zum Schlafen einen Juban, einen Unterkimono. Immer den gleichen, aus roter Seide. Ich ziehe ihn jede Nacht an; es ist, als ob ich in seinen Armen schlafe… «
    Sie stockte, biß sich auf die Lippen. Die Stille war vollkommen, und doch war es jetzt eine andere Art von Stille. Ich hatte geglaubt, daß ich mit Gespenstern gut zurecht kam; aber ringsum waren andere Gespenster. Sie hatten ihren eigenen Lebensraum; die Bühne, die Kulissen waren Welten in dieser Welt.
    Die Gespenster formten wir selbst, indem wir uns mit Schminke bemalten, mit Masken und Gewändern verwandelten. Wir zerrissen die Außenhaut zur unsichtbaren Welt, ihre dunkle Vieldeutigkeit bezauberte uns. Und bisweilen kam es vor, daß sie von uns Besitz nahm. Vor meinen Augen flimmerte das Bild eines Tänzers, weiß geschminkt, die Lippen pflaumenrot, die Augen wie Pechkohle. Er lebte in großer Einsamkeit, von Visionen verfolgt, die er durch seine Kunst erschaffen hatte.
    Naomi und ich waren derbe Kräuter, unter scharfer Sonne gewachsen und gehärtet. Dieser Mann war von besonderer Art, kostbar und empfindsam – ein Nachtschattengewächs.
    Sie saß jetzt ganz still, die Hände zwischen den Knien, den Kopf hoch erhoben. Man konnte es lange ansehen, dieses herb geformte Gesicht, so zart über dem biegsamen Hals schwebend, sein Zauber war verwirrend.
    Ich sagte:
    »Tanzen ist eine Sache der Kontrolle, oder? Aber irgendwann kommt ein Augenblick absoluter Erschöpfung. Allein der Gedanke, auf der Bühne zu stehen, scheint erschreckend. Das geht vorüber. Du darfst den Mut nicht verlieren. Wenn wir etwas mit genügend Nachdruck erreichen wollen, so können wir es immer erreichen. «
    Sie zog tief den Atem ein.
    »Wir bringen Opfer dafür, Ruth. Wir opfern jene, die nicht stark genug sind, um uns auf unserem Weg zu folgen.«
    Sie weinte jetzt; die Tränen liefen über ihre Wangen. Ihre Pupillen waren geweitet und glänzten. Sie sah plötzlich wie ein scheues Kind aus. Eine verloren geglaubte Regung kehrte zu-rück, weich und vertraut. Ich strich mit der Hand leicht über ihren Arm und fühlte, wie sich die Flaumhaare aufrichteten. In Zeiten des Leids gibt es Momente, da die Seele sich nach Ruhe sehnt. Ich sage leise:
    »Vielleicht schöpft er jetzt Kraft für den Rest seines Lebens.
    Laß ihm Zeit.«
    Sie wandte das Gesicht ab, zerdrückte ihre Tränen mit der Fingerkuppe.
    »Es tut mir leid. Ich war die ganze Zeit nur mit mir selbst beschäftigt. Warum sprechen wir nicht von dir?«
    »Von mir?«
    »Da gibt es doch viel zu erzählen, oder?«
    »Einiges schon«, bekannte ich und seufzte. Die Kopfschmerzen wurden nicht besser.
    »Die ganze Geschichte, siehst du, ist sehr eigenartig. Ich meine, sie hat so vieles in mir verändert. Einfach so. Ganz nebenbei. Und ich glaube, für immer.

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